Chirurgie


Trepanierter Schädel, Peru

 

 

Die Trepanation – die Eröffnung der knöcher- nen Schädeldecke - war der erste grosse chirurgische Eingriff, den Menschen ausführten. Dass man in grauer Vorzeit Schädel trepanierte, weiss man seit den Tagen des Landarztes Pierre Barthélémy PRUNIERES (1828-1893), der 1873 im Tal der Lozère in Südfrankreich Öffnungen in prähistorischen Schädeln fand. Dass diese am lebenden und überlebenden Patienten vorgenommen worden waren, erkannte sein Landsmann Paul BROCA (1824-1880). 1874 – auf einem Anthropologen- kongress in Lille zeigte ihm PRUNIERES einen seiner Schädel, und BROCA erkannte sofort den Kallus am Rand der Trepanationsöffnung, ein Beweis für das Überleben der operierten Person.

 

Die Überlebensrate der Trepanierten war in der Jungsteinzeit je nach Operateur unterschiedlich:
80% in Südostfrankreich
45% im Pariser Becken
90% in Mitteldeutschland.
In Südamerika betrug die Überlebensrate zu Beginn der Neuzeit 60-80%.

 

Drei Probleme galt es für den Operateur zu lösen:
- den Schmerz
- die Blutung
- die Infektion
Gegen den Schmerz half der Saft der Kokablätter. Der Operateur kaute die Blätter und liess den Speichel in die Wunde tropfen – eine Beobachtung spanischer Mönche in den Zeiten der Eroberung Amerikas...
Gegen die Blutung halfen Holzasche und Knochenmehl, vor allem aber Pflanzen mit einem hohem Anteil an Gerbstoffen. In den Anden ist der Gebrauch von Extrakten aus der Ratanhia-Wurzel nachgewiesen.
Gegen die Infektion des Operationsgebietes halfen Pflanzen mit antibiotischer Aktivität, vielleicht auch Verbände mit Honig. In Peru wurde faulendes Laub auf die Wunde gelegt, wobei man heutzutage davon ausgeht, dass Schimmelpilze, die in diesem Laub enthalten waren, antibiotikaähnliche Substanzen freisetzten. Dort, wo der Eingriff noch heute durchgeführt wird, beim Bantu-Stamm der Kisii im Westen Kenias, wäscht der „ababiri“, der Knochenspalter, die Operationswunde am Ende des Eingriffes mit Wasser aus, bestreicht sie mit warmem Fett und legt Bananenblätter auf die Wunde...

 

Zauberriten oder rationelle Behandlung von Schädelverletzungen? Nachdem man insbesondere bei prähistorischen Trepanationen anfänglich eher an magische Hintergründe dachte, zeigen jüngere Untersuchungen an operierten Schädeln im Peru bei der Mehrzahl der Schädel Restzustände nach Traumen. Offenbar entspricht die Trepanation einer besonderen Art der Kriegsführung jener Zeit, als man mit Schleuder und steinbewehrter Keule auf seinen Gegner eindrosch...

 

Exponat

Der vorgestellte Schädel stammt aus der aufgelösten Sammlung eines US-Diplomaten, der den Schädel um 1950 von einem Anthropologen in Lima erwarb. Fundort vermutlich die Halbinsel PARACAS, wo der Forscher Julio C. TELLO (1880-1947) ab 1925 hunderte dieser Schädel ausgrub. Die sog. Paracas-Zivilisation bestand von 800 v.Chr. bis etwa 200 n.Chr. Einen Grund für ihr Verschwinden konnten die Archäologen bis zum heutigen Tag nicht ausmachen.

Ähnliche Schädel fand man kürzlich beim Volk der Chachapoya, den "Wolkenmenschen", die in der Zeit von 800-1475 n.Chr. im Hochgebirge von Nordperu lebten. Von den Paracas hatten sie offenbar die Technik der Trepanation in Schabetechnik erlernt.

 

Die älteste Technik der Schädeleröffnung stellt vermutlich das sog. „Flächenschaben“ dar. In Peru wurde geschabt, aber auch gesägt, gemeisselt und gebohrt. Bei dem hier vorgestellten Schädel mit seiner typischen Doppeltrepanation wurde die Schabetechnik angewandt. Die Krackeleien auf der Schädeloberfläche haben wir nach den Aufnahmen weggewischt - sie zeugten von der besonders schnoddrigen Art mancher Zeitgenossen, mit den Resten ihrer Vorfahren umzugehen. Doch wollten wir in unserm kleinen Museum nicht diese "Autogramme", sondern den Schädel ausstellen mit seinen fein sauber abgeheilten Wundrändern.

 

Lit.:
Nystrom K.C.,Trepanation in the Chachapoya Region of Northern Peru, in: Int. J. Osteoarchaeol. 17: 39–51 (2007)
Verano JW., Trepanation in prehistoric South America: geographic and temporal trends over 2,000 years. In Trepanation: History, Discovery, Theory,Arnott R, Finger S, Smith CUM (eds). Swets and Zietlinger Publishers: Lisse; 223–236, 2003

 

Wer sich auf der Urlaubsreise den "Kick" eines trepanierten Schädels gönnen will, der gehe in die Normandie nach Avranches. Hier wird in der Basilika "Saint-Gervais-et-Saint-Protais" der Schädel des hl. Aubert ausgestellt als "le crâne avec l'emprinte du doigt de l'archange Michel" - in Wirklichkeit ein steinzeitlicher Schädel mit Spuren einer Trepanation. Neuere Untersuchen haben auch die Hypothese einer Schädelzyste aufkommen lassen in einem mittelalterlichen Schädel ...

 

Unsere Vorfahren, die Kelten, praktizierten zunächst die Schabetechnik. Wie ein nobles Luxusgut importierten sie irgendwann eine neue Trepanations-Methode aus dem Mittelmeergebiet in den Norden: das Aufbohren mittels Hohlbohrers, der ein rundes Knochenplättchen aus dem Schädel schnitt. Nicht selten wurden diese Schädel-Scheibchen in alten Zeiten als Amulett um den Hals getragen ...

 

Eine originelle Interpretation der Trepanation finden wir in einem Artikel im "Escher Tageblatt" vom 25.4.1941 den Schädel vom Monte Circeo bei Terracina betreffend: "Der Neanderthalmann wurde eines Tages mit einem spitzen Stein erschlagen. Dann wurde der Kopf am Hinterhaupt angebohrt, ihm die Gehirnmasse entnommen und - wahrscheinlich aus kultischen Beweggründen - von dem oder den Mördern verzehrt". Neuere Forschungen sprechen dafür, dass der Mann in Wirklichkeit von Hyänen angefallen worden war.

 

Nota: unser Schädel besitzt kein Inka-Bein (os interparietale). Dieser Schaltknochen am Hinterkopf kommt bei der südamerikanischen Population gehäuft vor (20%), während er in Europa deutlich seltener (8%) ist.