Geburtshilfe


Beckenzirkel (5) n. GAUSS

 

 

1778 stellte Pierre-Victor COUTOULY (1738-1814) der Pariser Académie de Chirurgie einen "Appréciateur du bassin" vor, mit dem die Conjugata vera innerlich abgegriffen werden konnte. Das Verfahren stiess auf taube Ohren. Man fuhr fort, die Conjugata vera / anatomica / obstetricia indirekt zu "messen", indem man (seit BAUDELOCQUE) von der Conjugata externa (Distanz von dem oberen Grübchen der Michaelis'schen Raute -> Symphysen- vorderfläche) 8-9 cm abzog. Nur über eine innere Messung aber kann der Wert der Conjugata vera "in echt" bestimmt werden.

 

Der Beckenmesser von GAUSS-BYLICKI ist eine Weiterentwicklung der BYLICKI-Stifte, bajonettartig gebogenen Stäben, mit denen das wichtigste Innenmass des Beckens, die sog. Conjugata vera direkt abgegriffen werden konnte: zwei gegeneinander verschiebbare Arme, deren tieferer auf das Promontorium, deren kürzerer auf die hintere Innenseite der Symphyse angepresst wurde.

* L. v. BYLICKI war Geburtshelfer in Lemberg. 1904 gab er ein Set von 13 Messstäben an zum Bestimmen der Conjugata vera (Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie, Ergänzungsheft des XX. Bandes 1904 S. 441).

* Paul ZWEIFEL (1848-1927) wurde 1876 (mit 28 Jahren) Ordinarius für Geburtshilfe und Gynäkologie in Erlangen, 1887 wechselte er nach Leipzig, wo er bis 1921 eine große Schule von führenden Gynäkologen heranbildete. Auch er beschrieb einen Beckenmesser (Zentralblatt für Gynäkologie, Leipzig 1906 nr. 27 S. 763) und kommentierte die Geräte von FAUST und GAUSS.

 

*Carl Joseph GAUSS (1875-1957) war ein Enkel des grossen Mathematikers Carl Friedrich Gauss (1777-1855), der aus seiner ersten Ehe drei Kinder hatte:

- Joseph (1806-1873. Aus seiner Ehe mit Sophie Erythropel ein Sohn Carl-August. Von ihm der    Arzt Carl-Joseph GAUSS

- Minna (1808-1840)
- Louis (1809-1810), wobei die Mutter im Wochenbett starb.

Carl Joseph GAUSS gab 1905 als Assistent an der Uni-Klinik Freiburg/Brsg eine Variante zum BYLICKI'schen Instrumentarium an (Zur instrumentellen direkten Messung der Conj. obstetr., in: Zeitschr. für Geburtshilfe und Gynäkologie 1905 Bd. LIV Heft 1 S.19). Er war Ordinarius der Geburtshilfe in Würzburg von 1923 bis 1945. Seine Aera fällt also zusammen mit der NS-Zeit. 

Unmittelbar nach Kriegsende entließ die Militärregierung GAUSS aus dem Dienst. Von der Spruchkammer Bad Kissingen wurde er 1946 als "Mitläufer nach Artikel 12" eingestuft und mit einer Geldbuße von 2.000 Reichsmark belegt. Außerdem musste er die Prozesskosten von 7.500 Reichsmark begleichen. GAUSS übernahm eine Frauenarztpraxis und später die gynäkologische Abteilung des St. Elisabethkrankenhauses in Bad Kissingen.

Nachfolger in Würzburg wurde Karl Johann BURGER, der den Lehrstuhl für Geburtshilfe und Gynäkologie 1947 als völlig unbelastete Persönlichkeit übernahm. BURGER kam aus Ungarn, wo er zuletzt den Lehrstuhl II für Frauenheilkunde der Universität Budapest innehatte.

Heutzutage wird die Conjugata vera radiologisch (selten indiziert) oder echographisch (selten präzise), oder (billig, ungefährlich und "fast" zuverlässig) mit Zeige- und Mittelfinger der untersuchenden Hand bestimmmt...

 

Exponat

Vorgestellt wird ein GAUSS'scher Pelvimeter, hergestellt und vertrieben von dem Instrumentenmacher Fischer in Freiburg i.Brsg. (Fisch auf dem Griff!). Vorgestellt wurde das Gerät nicht in einer der grossen gynäkologischen Zeitschriften jener Zeit, sondern in der eher praxisnahen "Münchener med. Wochenschrift" - GAUSS sagte dazu "Ich habe geglaubt gerade jene Zeitschrift wählen zu sollen, weil ich überzeugt bin, dass mein Beckenmesser sich in jeder Hinsicht auch für die allgemeine geburtshilfliche Praxis eignet" (Zentralblatt für Gynäkologie 1906 nr.27 S. 769). Leider wurde die "Pistole" nie wirklich populär ...