Urologie


Urethrotom n. MAISONNEUVE

 

Postgonorrhoische Urethralstrikturen waren seit jeher die Krux der Urologie. Nachdem man sich jahrhundertelang mit Bougierungen beholfen hatte, ging man im 19. Jahrhundert zur scharfen Spaltung der Verengung über.

* Der Schotte James SYME (1799-1870) und der Franzose Charles-Emmanuel SEDILLOT (1804-1883) ersannen Operationen zur "externen" Urethrotomie (percutaner Harnröhrenschnitt von außen nach innen).
* Bei der entgegengesetzten "internen" Methode entwickelten sich zwei Varianten:
- die "retrograde" Schlitzung nach dem Engländer Richard-Antony STAFFORD (1801-1854) oder dem Wiener Victor v. IVANCHICH (1812-1892),
- die "anterograde" Methode nach dem Franzosen MAISONNEUVE.

BERNARD, ein Pariser Goldschmied und Tüftler, erfand 1845 eine flexible Sonde aus Gummi, mit der man Engpässe in der Harnröhre überwinden konnte (Kautschuk war 1845 aus den USA nach Europa gelangt).

 

Der in Nantes geborene Jacques-Gilles MAISONNEUVE (1809-1894), ein Schüler von Guillaume DUPUYTREN (1777-1835) und selber später Arzt an mehreren Pariser Spitälern, war bekannt für seinen Wagemut. Er ersann 1845 den "Folgekatheterismus", bei dem einer BERNARD'schen Haarsonde ein aufgeschraubter Katheter nachgeschaltet wird.

1855 stellte er sein OP-Besteck für die "Urethrotomia interna" zusammen. Bei seiner „inneren Schlitzung“ wird eine dünne Sonde in die Blase vorgeschoben. Ist die Striktur überwunden, wird das eigentliche Urethrotom auf diese Führungssonde aufgeschraubt.  Zuletzt wird ein bei 12 Uhr in der Führungsschiene befindliches kleines Messerchen bis zur Verengung hochgeschoben, und mit einem Ruck in die Blase vorgestossen. Dabei wird die Striktur durchschnitten. Dabei wird das unelastische Bindegewebe der Engstelle eingeschnitten; die Schließmuskulatur weicht dabei aus und wird somit geschont. Beim Zurückziehen des Messers wird die STriktur ein zweites Mal "durchtrennt".

 

Fallweise wird vorübergehend ein Harnröhrenkatheter eingelegt. Die Hauptsache bei dem Eingriff aber ist nicht die einmalige Erweiterung, sondern das Festhalten dieser, d.h. die Verhinderung der wieder folgenden narbigen Einziehung, gleichbedeutend mit Verengerung. Am besten Verweilkatheter oder — gewöhnlich schmerzhaftes — tägliches Katheterisieren...

Das Instrumentarium hielt sich lange Jahre. Im Katalog der "Ancienne Maison MATHIEU" von 1912

(https://web2.bium.univ-paris5.fr/livanc/?cote=188518&p=114&do=page)

und im Katalog der Pariser Firma Joseph Bruneau & Cie aus dem Jahr 1920 finden wir das Urethrotom nach MAISONNEUVE

(https://web2.bium.univ-paris5.fr/livanc/?cote=extaphpin003&p=24&do=page).

Ungefährlich waren die Eingriffe nicht: akute Todesfälle durch Schock kamen in der Voranaesthesiezeit vor. Es gab Fälle von akuter Nephritis, Sepsis, Hodenentzündung, Abszessen. Selbst von rectalen Perforationen wurde berichtet ...

 

Als die Elektrizität Einlass in die Therapeutik fand, übernahm man diese elegante Methode, um aus dem dreieckigen Messer zugleich einen Thermokauter zu machen: das gesamte Metallgestänge wurde mit einer isolierenden Schutzschicht umwickelt, das Messer unter Strom gesetzt. So finden wir bei dem hier vorgestellten Gerät aus den Werkstätten "MATHIEU" (Bild unten rechts) in Paris eine Anschlussmöglichkeit für ein Elektrokabel (Bild unten links) ... In Berlin hatte LOHNSTEIN im Jahr 1900 ein derartiges Gerät für die Prostataspaltung vorgestellt mit Platin- und Iridium-Messern.

 

MAISONNEUVE hatte die Harnröhre blindlings geschlitzt. Seine Nachfolger erfanden das Zystoskop und Urtehroskop und konnten unter Sicht vorgehen, wodurch sich die Komplikationsrate senken liess.

Nota: in dem hier vorgestellten Kasten fehlt der sog. "conducteur", ein gerader Stab, der auf die Führungssonde aufgeschraubt werden konnte. Es ist keine Aussparung dafür vorgesehen, es sei denn, der Stab lag ursprünglich in dem Fach, in dem auch die weichen Führungssonden lagen. Über den "conducteur" wurde bei der klassischen Operation nach MAISONNEUVE am Ende des Eingriffes die Dauersonde eingeführt. Meinte der Erfinder des Bestecks, durch Einsatz der Elektrizität auf eine Dauersonde verzichten zu können?