Chirurgie


Amputationssäge (1)

Signierte Säge, um 1770 

 

Verwundete und kranke Soldaten starben einen erbärmlichen Tod: zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurden Krüppel oft von den eigenen Leuten erhängt, damit sie nicht in die Hände des Feindes fielen. Der Alptraum eines jeden Soldaten aber waren Amputationen auf dem Schlachtfeld.

 

Handhabung

Mit diesem Instrument ging es "zur Sache": mit ihm wurde, nach der Umschneidung des kranken Gliedes "im Gesunden" mittels Amputationsmesser ("tour de bras", dann "tour de force"), der Knochen durchgesägt. Dabei mussten die frisch angeschnittenen Weichteile mehrere cm nach proximal hochgeschoben werden, um den Knochen freizulegen. Dazu bediente man sich spezieller Muskelhaken bzw. halbkreisförmigen Metallscheiben mit einer Kerbe in der Basis, in die der abzusägende Knochen passte (siehe PERCY).

Die Grösse der Säge war dem zu amputierenden Gliede proportional: Exemplare für die Fingerchirurgie waren zierlich klein, zum Amputieren eines Oberschenkels standen Instrumente mit Längen bis zu 60 cm zur Verfügung!

Selbstverständlich fehlt das Instrument nicht in der damaligen Fachliteratur, im "Armamentarium chirurgiae" bzw. "L'Arsenal de Chirurgie" von Johannes SCULTETUS (1599-1645), in den "Opera chirurgico-anatomicae" von Paul BARBETTE (1672) etc. Eine bebilderte OP-Anleitung in mehreren Etappen finden wir in den "Institutiones chirurgicae" von Lorentz HEISTER (1683-1758). Die erste bildliche Darstellung einer derartigen Säge aber finden wir auf einem Ölgemälde von 1517. Immer wieder reizte die schaurige Eleganz des Instrumentes die Künstler, sie auf "Stilleben" abzubilden: Jan Brueghel d.Ä. bildete eine Säge mit gedrechseltem Griff ab auf dem Oelgemälde "Das Gefühl" - ein Äffchen spielt daneben (Prado/Madrid).

 

Die "capital saw" (engl.) erfuhr eine beträchtliche Entwicklung im Laufe der Jahrhunderte: dem Zeitgeist entsprechend wurden in der Renaissance die Instrumente vielfach reich verziert, eine Mode, die während der Aufklärung verschwand, als Instrumente entstanden, deren Gestaltung nur noch von der reinen Notwendigkeit diktiert wurde.
"Iron-framed eighteenth-century saws often have highly decorative features and an elaborate tensioning screw. Saw handles were large, and circular in cross-section until about 1770, when a hexagonal shape was invented to improve grip".

Die kleinen Seiten sind "eingeknickt", der Franzose spricht von "petits côtés incurvés en accolade". Typisch für das 18. Jahrhundert sind auch die unterschiedlich langen "petits côtés".

Typisch für ein Instrument aus dem 18. Jahrhundert: der achteckige, leicht gebogene Griff aus unverrottbarem Thujaholz. Der Abendländische "Lebensbaum" war 1596, der Morgenländische "Lebensbaum" 1752 nach Europa gekommen.

 

Zum Hersteller

Eiserne Chirurgen-säge, "poinçon trèfle couronné" [Langres 18. Jh], Griff Nuβbaumholz. Langres ist eine der ältesten Städte Galliens. Im 15. Jh. gab es hier zahlreiche Messerhersteller, 1418 wohnten allein 8 von ihnen in der r. Vernelle und der r. de la Coutellerie. Grund für das verstärkte Aufkommen diesen Industriezweig war vermutlich die Nähe von Eisenlagern sowie eines besonders harten und feinen Sandsteines. In einer Liste der "maîtres coutelliers de Langres" aus dem Jahre 1768 finden wir "unsern" Hersteller: Vinnebault VIEILLIOT, dessen Zeichen das gekrönte Kleeblatt war, "trèfle couronné" (Camille Pagé, La Coutellerie Depuis L'Origine Jusqu'À Nos Jours: La Fabrication Ancienne & Moderne, Edition H. Rivière, Paris 1896. Les Couteliers de Province, S.82). Er war in Langres in der rue Sainte-Barbe niedergelassen (Bulletin de la Société historique et archéologique de Langres, Vol.5, 1907 S.380. Nota: in Langres kam 1713 als Sohn eines Messerherstellers (!) Denis DIDEROT zur Welt, der spätere Mitherausgeber der berühmten Enzyklopädie …

 

Link
www.gesch.med.uni-erlangen.de/messer/ausstell/amput/t_amp18.htm

 

Exponat

Die hier gezeigte Säge wurde in Paris erworben in der Galerie Théorème, "Antiquités du Louvre", 2 Place du Palais (Zweigniederlassung Clignancourt). Sie stammt aus einem Arzthaushalt in Toulouse und wurde am gleichen Tag gekauft an dem Lady Di umkam. Im Handel tauchen derartig alte Sägen nur selten auf, jüngere dagegen sind relativ häufig auf "the collector can find saws from the last two hundred years without much difficulty" (D.J. Warren) - so ist der Sammler einigermassen geschützt vor Fälschungen. Seltener findet man die passenden Bürsten, mit denen Knochenmehl zwischen den Zähnen der Säge entfernt werden konnte ...

 

Ähnliche Sägen

Ähnliche Knochensägen entstammen der Werkstatt GRANGERET. Über 4 Generationen waren die Grangeret's Messerschmiede in Paris: 1735 war Louis "Maître Coutelier". Sein Sohn Simon-Pierre (1736-1787) war "Coutelier du Roi" schlug ab 1772 mit einem K unter der Krone. Pierre (*1731 als Bruder des Vorgenannten Simon-Pierre, gest. 1802) schlug ab 1772 mit einem H unter der Krone, 1803 belieferte er die Hospices civils von Paris. 1806 wurde sein (einziger) Sohn Pierre-François (1776- ) "Coutelier de l'Empereur", 1814 war Camille Grangeret "Coutelier de l'Empereur et des hospices", nach der Wiedereinführung der Monarchie "Coutelier du Roi", 45 rue des Saint Pères in Paris.Link zur Genealogie Grangeret: www.bium.univ-paris5.fr/sfhad/cab/texte03x1.htm

 

Herstellung

Ausführlich schilderte der Messerschmied Jean-Jacques Perret (1730–1784) die Herstellung einer Säge (L'art du coutelier expert en instruments de chirurgie, Paris 1772

https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k10656028/f165.image

Der Bogen, der sog. "Sägebaum" entsteht aus einer geraden, viereckigen Stange vom Durchmesser des späteren zentralen "Apfels". Zwei weitere "Birnen" rechts und links gewähren der Säge die erforderliche Elastizität. Die Stange wurde durch Hämmern zu einem Bogen geformt. Das Herzstück, die Trepankrone, wird aus einem Stück hergestellt und durch Hämmern zu einem Ring verschweißt. Auf der Drehbank erhielt sie ihre endgültige Form. Die Zähne der Krone wurden mit einem Lineal und einer Reißnadel angezeichnet und mit einer dreieckigen Feile herausgearbeitet und poliert. Ihre Härte erhielt die Krone durch gezieltes Erhitzen und Abkühlen. Als Verbindungsstücke dienten geschmiedete Hülsen. Mit Schrauben oder Stiften fixierten sie die Einzelteile. Griffe wurden aus Holz oder Elfenbein gedrechselt.

Der Messer- oder Zirkelschmied stellte bis in das 18. Jahrhundert chirurgische Instrumente her. Erst gegen Ende des Jahrhunderts bildete sich der Beruf des chirurgischen Instrumen-tenmachers heraus. Grund war die Professionalisierung der Chirurgie und der Bedarf an speziellen Instrumenten. Die Institutionalisierung der medizinischen Versorgung spielte ebenfalls eine Rolle. Die Produktpalette der chirurgischen Instrumentenmacher orientierte sich vielfach an gedruckten Vorlagen. Die üblichen Instrumente wurden auf Vorrat produziert. In Kriegszeiten konnte ihre Nachfrage steigen. Zusätzlich waren es Auftrags-arbeiten von Chirurgen, die zur Entstehung neuer Instrumente führten. Der Chirurg lieferte die Idee, der Instrumentenmacher sorgte für die technische Umsetzung.

(nach: Museum für Geschichte, Sackstraße 16, 8010 Graz, Austria)