Chirurgie


Gipsschere n. STILLE

 

 

Schon seit prähistorischer Zeit sind hölzerne Schienen bekannt in Verbund mit anderen aushärtenden Materialien, wie z.B. Lehm oder Ton. Angeblich war der aushärtende Verband schon dem grossen mittel- alterlichen Chirurgen RHAZES bekannt - er beschrieb Verbände aus Lehm mit beigemischtem Eiweiss, die er nicht nur beschrieb, sondern auch einsetzte. Die Haltbarkeit dieser Materialien ließ allerdings zu wünschen übrig.

 

1773 berichtete der britische Diplomat Eaton von einem Verband, den türkische Chirurgen in Konstantinopel anlegten: Schienen aus Holz, die mit Maurergips gebunden wurden.

 

Als Zeuge der letzten grossen Gefechte Napoleon's, war Louis Joseph Ghislain SEUTIN (1793-1862) aus Nivelles, "chirurgien aide-major" bei ber "Grande Armée", entsetzt über die barbarische Versorgung der Frakturen an Arm und Bein. 1835 entwickelte er einen Verband aus Leinenbinden, um die Frakturen ruhigzustellen. Die Verbände bestanden aus Schienen und Stärke, daher der Name "bandages amidonnés", und benötigten ganze zwei Tage zur Trocknung - was insbesondere für Soldaten während der Schlacht ungeeignet war. 1845 entwickelte der Berliner Chirurg Johann Friedrich DIEFFENBACH (1792-1847), der Schöpfer der plastischen Chirurgie, sein "plâtre coulé". DIEFFENBACH war zunächst Arzt an der Charité und wurde dann Direktor des Universitätsklinikums in der Ziegelstraße.

 

Der niederländische Armee-Chirurg Antonius MATHIJSEN (1805-1878) entschied sich für eine Kombination von Baumwolle und Gips: der Verband war billig (in der Holländiscdhen Armee ein gewichtiges Argument!), die Verbände ließen sich leicht anlegen und wieder abnehmen, blieben aber gut am Arm oder Bein haften, trockneten schnell und waren außerdem so stabil, daß die Wanddicke und damit das Gewicht relativ niedrig bleiben konnten: MATHIJSEN entwickelte 1851 Vorläufer der heutigen Gipsbandagen, indem er pulverisierten Gips auf eine Bandage streute, die als Trägermaterial fungierte. 1852 ging MATHIJSEN mit seiner Erfindung an die Öffentlichkeit und schon bald trat der Gips seinen Siegeszug in der zivilen Medizin an. Antonius MATHIJSEN wurde am 4.11.1805 in Budel geboren als Sohn des Chirurgen Ludovicus Hermanus (Lodewijk Herman) MATHIJSEN und dessen Gattin Petronella Bogaers. Studium in Brüssel, Schiffs-Chirurg bei der niederländischen Kriegsmarine. In den Niederlanden, wo man auf den Erfinder des Gipsverbandes mächtig stolz ist, gibt es neuerdings eine Ausbildung zum klinischen "Gipsmeister". Dabei übersehen sie, dass MATHIJSEN in Hamont-Achel in Belgien starb (Stele daselbst in Achel im nördlichen Limburg): die Niederlande ehrten MATHIJSEN 1941 mit einer Briefmarke.


1930 brachte die Fa. Lohmann die erste fixierte Textil-Gipsbinde, die "Cellona-Binde" in den Handel.

 

Gipsscheren

Wie aber die steinharten Verbände wieder entfernen, ohne den Patienten zu gefährden? 1856 gab der Belgier SEUTIN ein Gerät an zum Spalten der Verbände. Der schwedische Instrumenbauer Albert STILLE (1814-1893) ersann 1875 eine äusserst robuste Schere mit einem Schiebemechanismus, der den Verband nicht nur kneift, sondern - in Papageienart - durchsägt, indem die beiden Branchen sich gegeneinander verschieben. "Gipsschneidezange n. Stille", "cisailles à plâtre de Stille" frz., "Stille plaster shears" engl.

 

Die vorgestellte Schere aus den 50er Jahren stammt aus dem Fundus des luxemburger Chirurgen Roger FROMES (1924-1998), dessen Name auf dem Instrument eingraviert ist.

 

Lit.:
Mathijsen A. Nieuwe Wijze van Aanwending van het Gips-Verband bij Beenbreuken. Haarlem: J.B. van Loghem; 1852.