Geburtshilfe


Hebammendiplom

8. September 1900 

Bis 1875 wurden die luxemburger Hebammen an ausländischen Schulen ausgebildet (Paris, Metz, Lüttich, Trier und Köln). Erst als die Trierer Hebammenschule keine luxemburger Schülerinnen aufnahm, schufen die luxemburger Behörden (in einer ehemaligen Reiterkaserne im Vorort Pfaffenthal) endlich eine einheimische Schule.
Ab 1878 wurden in dieser "Königlich=Grossherzoglichen Hebammenlehranstalt" vor Mitgliedern des "Collège médical" Examina abgehalten. So wie die Ärzte seit Inkrafttreten des Gesetzes vom 8.3.1875 von einer unabhängigen Jury ihr Examen ablegen können, bestand ab dem 4.2.1899 auch für Hebammen eine staatliche Jury.

Hier der Prüfungsstoff des Examens von 1899/1900:
"Der Unterricht wird in deutscher Sprache ertheilt und begreift: Einen allgemeinen Ueberblick, mit Anwendung künstlicher Präparate, über die Anatomie der Zeugungs- und der Geburtsorgane; eine Übersicht über den Verdauungsprozeß, den Blutlauf und die Athmung; sowie über die physiologischen Vorgänge während der Schwangerschaft und der Geburt mit deren Folgen, eine kurze Pathologie dieser Zustände; die vollständige Lehre von der Pflege des Kindes, die bei Geburten am häufigsten vorkommenden Schwierigkeiten und das Verhalten der Hebamme in solchen Fällen; eine Anleitung zum Gebrauch des Katheters, zum Verhalten bei Einspritzungen und Bädern, sowie beim Schröpfen und beim Ansetzen von Blutegeln; die Gesundheitslehre, speziell die Regeln der Antisepsis" (Memorial n°7 vom 11.2.1899).

Im August 1900 standen das Datum des Examens und die Zusammensetzung der Jury fest:
"Die Prüfungsjury für Geburtshilfe, bestehend aus den HH. Dr. GIäsener, Mitglied des Medizinal-Collegiums zu Diekirch, Präsident, Dr. Feltgen, Vater, Arzt, zu Luxemburg, und Dr. Fonck, Mitglied und Sekretär des Medizinalcollegiums und Administrator-Direktor der Entbindungsanstalt zu Luxemburg, tritt am 30. und 31. August ct. zu ordentlicher Sitzung im Sitzungssaale des Medizinalcollegiums zu Luxemburg zusammen, behufs Prüfung der Frl. Josephine Mathias von Vianden, Maria Port von Müllendorf, Maria Sidon von Clerf, Agnes Schneider von Anfingen, und Elise Schröder von Reckingen, sämmtlich Bewerberinnen für das Hebammendiplom.
Die schriftliche Prüfung findet am Donnerstag, den 30. August, von 2½ bis 5½ Uhr Nachmittags, und die mündliche und praktische Prüfung am Freitag, den 31. August um 2½ Uhr Nachmittags statt.
Luxemburg, den 27. August 1900.
Für den General-Director der öffentlichen Arbeiten:
Der General-Director des Innern,
H. Kirpach"
(Memorial n°43 vom 27.8.1900).

Der Abschluss des Studienganges erfolgte nach 6-monatiger (!) Ausbildung und gestaltete sich zu einer kleinen Schulfeier, bei der die besonders fähigen Abgängerinnen aus der Hand des Direktors, ausser ihrem Diplom, eine vom Staat finanzierte "trousse" mit Hebammeninstrumenten erhielten.

Vorgestellt wird das Hebammendiplom, das am 8. September 1900 der Hebamme Elise SCHROEDER aus Reckange/Mersch zugestellt wurde. Links unten die 3 Unterschriften der "Jury d'examen pour les Accouchements": Präsident Dr. Jean-Pierre GLAESENER, Dr. Jean FELTGEN (Mitglied) und Dr. Gustav FONCK (als Leiter der Hebammenschule war er automatisch Mitglied der Examenskommission) (Sekretär). Rechts unten der Stempel des Innenministeriums und die Unterschift des Generaldirektors der öffentlichen Arbeiten Charles Rischard (sein Ministerium war zuständig für Gesundheitsfragen) . Es verdient hervorgehoben zu werden, dass das Diplom in Französisch verfasst wurde, obwohl der Unterricht in deutscher Sprache erteilt worden war ...

Elise SCHROEDER war am 24.9.1875 in Reckingen/Mersch als Tochter der Eheleute Peter Schroeder und Anna Schekel zur Welt gekommen. Der Grossvater Pierre Schroeder war in Reckingen mit der Hebamme Elisabeth KASS verheirat gewesen, als Kind hatte Elisabeth SCHROEDER diese altgediente Hebamme noch gekannt (war sie etwa Taufpatin?) - das wirkte möglicherweise ansteckend ! Wie dem auch sei: der Fall Schroeder ist ein guter Beleg für die Tatsache, dass der Hebammenberuf in bestimmten Familien "weitervererbt" wurde: 1900 finden wir die junge Elisabeth SCHROEDER als Schülerin des 23. Kurses (Kursbeginn am 1.3.1900) der Pfaffenthaler Hebammenschule. Am 12.9.1900 wurde ihr Hebammendiplom ausgestellt, womit sie in Luxemburg zugelassen war - sie hatte mit Auszeichnung bestanden !
Sie praktizierte kurze Zeit in ihrem Geburtsort Reckingen/Mersch - ihre "Praxis" hatte sie im Elternhaus. Laut Memorial praktizierte sie von 1900-1903 in Reckingen, von 1904-1906 in der Stadt Luxemburg und ab 1907 in Eich/Dommeldingen, der Heimat ihres Gatten: am 31.5.1907 hatte sie den Eisenbahner Jean Bichel aus Dommeldingen geheiratet. Sie starb daselbst 60jährig am 9.6.1935, Mutter von 2 erwachsenen Söhnen.

Mein besonderer Dank von dieser Stelle an Familie Jean Bichel aus Helmsange für die grosszügige Überlassung des Diplomes.