Innere Medizin


Asthmatherapie (2) Zigaretten

 

Zu einer Zeit, als man weder Kortison noch Beta-2-Sympathikomimetika kannte, konnte der Asthma-Anfall mit Erfolg durch Einatmung von Salpeterdämpfen coupiert werden. Früher gab es in den Apotheken sogenanntes »Salpeterpapier« Charta nitrata, zu kaufen, ein mit Kalisalpeterlösung getränktes Filterpapier. Asthmaleidende oder an Bronchitis und schwerem Husten Erkrankte zündeten sich dieses Papier an, um die entstehenden Dämpfe einzuatmen. Die Salpeterdämpfe senkten die Krampfbereitschaft, halfen den Schleim abzuhusten und regten die Schleimhäute zur Ausscheidung an. „Pyridine, iodure d’ethyle, nitrite d’amyle, chloroform. aspiration de fumées produites par la combustion de poudres ou de cigarettes contenant du nitrate de potasse du datura, de la belladonne, de la jusquiame» (Larousse médical illustré Paris 1924 S. 108).

Als Behandlungsmöglichkeit im Asthmaanfall kannte man vor allem den Rauch von verbrannten Stechapfelblättern. Indische Ärzte aus der Region Madras pflegten Asthma mit Räucherungen mit Datura ferox zu behandeln. Ab 1803 wurde das Mittel aus den britischen Kolonien nach Grossbritannien eingeführt - Zigaretten mit Datura-Blättern wurden bis 1992 gehandelt.

Die zahlreichen „Geheimmittel“ und Asthma-zigaretten enthielten fast alle Stechapfel (datura stramonium L.), für den der Volksmund seit jeher den Namen „Asthmakraut“ parat hatte. Die medizinische Verwendung des Stechapfels wird in Europa erstmalig 1762 empfohlen. Alle Stechapfel-Arten gehören zu den heftigsten narkotischen Giften und enthalten in sämtlichen Pflanzenteilen die Alkaloide Hyoscyamin, Skopolamin und Atropin, wobei die Konzentration in den Samen am höchsten ist. Allein schon die Blüten sind so berauschend, daß ihr Geruch betäubend und leichte Vergiftungserscheinungen hervorrufen kann.

Zigaretten gehören zu den originellen Darreichungsformen:
"Usage: au moment des accès (ou entre temps comme préservatif) on fume simplement une cigarette. Une demie suffit même souvent. On aspire la fumée lentement et profondément, pour qu'elle pénètre bien toutes les voies respiratoires. En un mot, bien que l'expression soit impropre, il faut autant que possible "avaler la fumée", comme disent les fumeurs de cigarettes. L'usage des cigarettes n'empêche pas celui de la poudre".

Es gab die Zigaretten in zwei unterschiedllichen Stärken (N°1 und 2). Das gleiche Mittel gab es auch ohne Zigaretten. Man verbrannte es auf einem Teller und inhalierte die Dämpfe:
"Usage: on place une bonne pincée de poudre sur un dessous de tasse; on y met le feu avec une allumette; on aspire la fumée; ensuite on couvre avec la base d'un cornet en papier dont on a coupé la pointe, et on aspire par le petit bout; nous conseillons de commencer par l'aspiration sans cornet, afin que le remède agisse graduellement; les accès les plus pénibles sont calmés instantément, et l'opération peut se répéter à volonté, car elle est inoffensive; cette répétition fréquente est même recommandée; contrairement à ce que l'on pourrait croire, elle n'entraine jamais l'accoutumance".
Die Zusammensetzung des Präparates aber verrrät der aufwendige Beipackzettel nicht...

Das Standardwerk der französischen Pharmacopoe, "L'Officine" von Dorvault (1910) erwähnt mehrere Medikamente, die geraucht wurden. Die "cigarette anti-asthmatique" (S. 544) bestand aus einem Papier, das, je nach Firma, mit unterschiedlichen Substanzen getränkt war: Belladonnablätter, stramoine (Stechapfel), digitaline (Fingerhut), sauge (Salbei), sel de nitre, teinture de benjoin (Süsser Assand). Auch amadou nitré (Feuerschwamm) kam zur Anwendung, Myrrhe, Oliban (Weihrauch), lobélie enflée (Lobeliakraut, Indischer Tabak), phellandrie (Wasserfenchel). Nach Prof Germain SEE (1818-1896) beruhte die Wirkung der Zigaretten auf der Freisetzung von Pyridin bei der Verbrennung...

Belustigend ist die Empfehlung an die Asthmatiker, eine Kur am Mont-Dore in der Auvergne zu befolgen "La Poudre Escouflaire dissipe la crise - Le Mont-Dore empêche le retour des crises".

Charles ESCOUFLAIRE nannte sich "Agent général, Inventeur et Seul Propreiétaire de la Firme" - Erfinder, Generalagent und einziger Inhaber der Firma (Beipackzettel). Diese befand sich in Baisieux im département du Nord, an der Grenze zu Belgien. Daher die zahlreichen Empfehlungsschreiben belgischer Ärzte und Patienten auf dem Begleitpapier...

Der "Mentor"der Riedel AG/Berlin von 1926 empfahl Asthmazigaretten der Firmen BOMBETON (folia grindeliae robustae), BROSIG (folia stramonii) und GRIMAULT (foliae belladonnae).

Eine Zeitungsannonce in der "Luxemburger Zeitung" vom 4/5.9.1897 war vom Apotheker ESCOUFLAIRE aus Ath in Belgien geschaltet worden. Eigentümlich, dass es sich ... um ein Asthmaprodukt handelte: "Unbestrittener Erfolg gegen Asthma, Engbrüstigkeit durch ZEMATONE-Pulver. Prospekte und Proben als Muster sendet gratis und franco Escouflaire, Apotheker, Ath, Begien".