Innere Medizin


Krankenkassenwesen (2)

 

Formular aus "brauner Zeit" ... Noch wurde Wiltz mit T geschrieb: das Formblatt stammt folglich aus den Anfangszeiten der deutschen Krankenkassenwesens in Luxemburg (zw. 10/40 und 3/41).

Unter dem NS-Regime stand den Juden lange Jahre die Möglichkeit zu, sich privat zu versichern - eine ohnehin von den meisten Juden traditionnell bevorzugte Arzt der Krankenversicherung. Manche Kassen sträubten sich: so gab die Hamburger Bezirksdirektion der Barmenia ihren Außendienstmitarbeitern bekannt, dass „jüdische Kreise in Zukunft bei unserem Unternehmen nicht mehr krankenversichert werden können“ und schwärzte andere Versicherungsgesellschaften an, weiterhin das „schlechte Judenrisiko“ zu übernehmen. Die zu den Handwerkerversicherungen zählende Nordwestdeutsche Versicherungsanstalt (Nova) aus Hamburg erwirkte sogar eine einstweilige gerichtliche Verfügung gegen den Nationalen Krankenversicherungsverein und untersagte diesem die Behauptung, „man könne nicht wissen, wie viele Juden bei der Nordwestdeutschen Versicherungsanstalt a. G. für Handwerk und Gewerbe, Sitz Hamburg, wären.“ Wie die Barmenia gingen viele Versicherungsvereine sofort dazu über, jüdische Anträge nicht mehr anzunehmen oder Neuaufnahmen per Satzung auszuschließen. Dagegen warben anfangs Gesellschaften wie etwa die Nova in jüdischen Kundenkreisen und nutzten den zur Schau gestellten Antisemitismus einiger Gesellschaften zur gezielten Abwerbung von jüdischen Versicherten. In der NS-Zeit wurde es für Juden zunehmend schwieriger, PKV-Verträge abzuschließen. Bis 1939 nahmen zehn der 40 größten PKV-Gesellschaften den so genannten Arierparagra- phen in die Satzungen auf und schlossen damit Juden von der Neuaufnahme aus. Viele Gesellschaften druckten in die Aufnahmeformulare Verweise, dass Anträge von Juden ungültig seien. Allerdings folgten nicht alle PKV-Gesellschaften der antisemitischen Linie. Gesellschaften wie in Hamburg etwa die Deutsche Krankenkasse von 186942 oder die Bürgerliche Krankenkasse, ein Tochterunternehmen der Hamburg-Mannheimer,43 die weiterhin Juden aufnahmen, konnten sich der Duldung und teilweisen Unterstützung des Reichsaufsichtsamtes und Reichswirtschaftsministeriums sicher sein, die bis 1940 den Ausschluss der Juden aus der PKV ablehnten und offenkundig rechtswidrige Maßnahmen nicht legitimierten.

Besonders prekär wurde die Versorgung der jüdischen Mitbürger ab dem 1.10.1938, als jüdische Ärzte nicht mehr praktizieren durften - Juden gezwungen waren, sich von "arischen" Ârzten behandeln zu lassen. Nach dem Pogrom vom November 1938 untersagte das Reichsaufsichtsamt die KrankenVersicherung von Juden ... wer aber wollte eine nicht versicherte Person behandeln !

Eine verschwindend kleine Gruppe von Privaten Krankenversicherungen trotzte dem Druck der Partei und besaß - noch 1940 ! - einen größeren Bestand an jüdischer Kundschaft. Aber selbst die Bestände dieser Gruppe beinhalteten wohl nicht den normalerweise zu erwartenden jüdischen Anteil. So hatte etwa die Vereinigte Krankenversicherung AG schadenträchtige jüdische Versicherungen weniger kulant als die nichtjüdischen behandelt, und die im Jahr 1939 ausgesprochenen Kündigungen betrafen hauptsächlich jüdische Versicherungen.

Lit.:
Ingo Böhle, „Juden können nicht Mitglieder der Kasse sein“; Versicherungswirtschaft und die jüdischen Versicherten im Nationalsozialismus am Beispiel Hamburg, 2003 Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg.