Innere Medizin


Sanatorien (1): Aufenthalt im Ausland

Ansichtskarte 1902: Liegeterrasse in Davos 

Am 5.4.1908 wurde die "Ligue luxembourgeoise contre la tuberculose" gegründet: treibende Kräfte waren die Ärzte Dr. FELTGEN und FLESCH sowie ein Nicolas Ludovicy. Erklärtes Ziel der Liga war es, durch vorbeugende und heilkundige Massnahmen die damals sehr gefürchtete Krankheit zu bekämpfen und durch freiwillige Geldspenden allen Unbemittelten den kostspieligen, jedoch unver- meidlichen Kuraufenthalt zu ermöglichen (Dondelinger).
Da das Land damals über keinerlei Unterbringungs- möglichkeiten für Lungenkranke verfügte, wurden die Betroffenen ins Ausland gebracht:
«Am Samstag fuhren 45 lungenschwache Kinder nach Bad Kreuznach zu einer einmonatigen Kur. Die Kosten werden von der Liga gegen die Tuberkulose getragen. In Begleitung der Kinder befinden sich der Sekretär der Liga, Hr. E. Hourscht und der Depisteur Hr. Schramm“ (Luxemburger Volkszeitung vom 4.9.1912).
Die Gradierwerke der Bad Kreuznacher Saline dienten einst der Gewinnung von Sole und Mutterlauge. Sie wurden 1732 bis 1742 unter dem Kurfürsten von der Pfalz erbaut und sind heute noch mit einer Länge von insgesamt 1100 Metern die größten funktionierenden Gradierwerke Deutschlands. Die an den Dornenwänden zerstäubende Sole macht das Salinental in Bad Kreuznach zum größten zusammenhängenden Salinen-Freiluft-Inhalatorium in Europa: Bad Kreuznach entwickelt sich rasch zur internationalen Kur- und Badestadt, wo Lungenkranke salzhaltige Luft einatmen konnten. 1843 wurde ein erstes Kurhaus in Betrieb genommen. Russische Großfürsten, amerikanische Millionäre und der deutsche Adel waren die ersten Gäste als 1911 das Bäderhaus eröffnet wurden. In den Sälen und Badestuben konnten sich die anspruchsvollen Gäste in "perlenden Heilbädern" bei "schottischen Wechselduschen" und "Kopflichtbädern" erholen. Der erste Weltkrieg setzte der hochherrschaftlichen Badekultur jedoch ein frühes Ende. 2000 erholte sich der Betrieb und erstrahlt heute in nie gewesenem Glanz.

Nach dem 1. Weltkrieg waren Aufenthalte in Deutschland für patriotische Luxemburger naturgemäss weniger beliebt. Umso fleissiger wurden nun Kinder nach der Schweiz verbracht, u. a. nach Davos und Leysin.

Schweizer Höhenluft gegen Tuberkulose
Jean-Jacques Rousseau hatte bereits 1764 die Alpenluft für Kuren empfohlen. Dabei war die Schweiz von alters her ein von der Tuberkulose heimgesuchtes Land: im Durchschnitt der Jahre 1901/02 war die Tuberkulose bei 57.2% der verstorbenen 15- bis 19-Jährigen und bei 48.1% der 20- bis 39-Jährigen die Todesursache. Um 1900 gingen ein Siebtel aller Todesfälle in der Schweiz auf das Konto der Tuberkulose! Das tat dem Mythos Schweiz = Gesundheit keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil!
Der Zürcher Bäderarzt und Medizinhistoriker Conrad MEYER-Ahrens wies 1845 auf die Erfolge von Dr. Luzius RÜDI mit an Tuberkulose oder «Skropheln» erkrankten Kindern im Hochtal von Davos hin. 1849 kam der Arzt Alexander SPENGLER (1827–1901) aus Mannheim als politischer Flüchtling - er war als Ultralinker steckbrieflich gesucht - in die Schweiz. Nach dem Medizinstudium in Zürich wurde er 1853 Landschaftsarzt in Davos und bemerkte dort, dass es unter den Einheimischen keine Tuberkulose gab. Er schlussfolgerte, dass ein Aufenthalt im Gebirge diese Krankheit auch heilen könnte. Unterschiedliche Therapieformen wurden ausprobiert: Spaziergänge auf Bergpfaden, Kaltduschen. Da SPENGLER die Tuberkulose anfangs als Ernährungsstörung ansah, ergänzte er die Behandlung durch Milchkuren. Trotz dieses falschen Ansatzes feierte SPENGLER ab 1865 bahnbrechende Erfolge.
1882 wies Robert KOCH die Ansteckungsgefahr bei Tb nach. War das Zusammenleben hunderter Tb-Patienten in Kurdörfern damit obsolet? Zwar liess die Gemeindeverwaltung Davos daraufhin schleunigst einen Abwasserkollektor bauen. Dennoch kritisierte der Arzt Karl TURBAN 1889 zurecht die hygienischen Zustände in Davos:
«Fiebernde und Blutspuckende wurden auf Bergspaziergänge geschickt; bei den regelmässigen Bierkonzerten im Kurhaus sangen die Kehlkopfkranken die Kommerslieder nach Kräften mit; bei Festlichkeiten in den Hotels tanzten schwerkranke Herren und Damen in betrunkenem Zustande die damals üblichen Tänze - und die Ärzte schauten zu».
Aus umherschweifenden Kranken wurden daraufhin Liegepatienten auf Terrassen...

Neben Davos wurden Arosa, Leysin und Montana ebenfalls Lungen-Kurorte von Bedeutung. Was war an der Davoser Luft so besonders? 1907 gründete Carl Dorno das Physikalisch-Meteorologische Observatorium Davos mit dem Ziel herauszufinden, warum Tuberkulose in Davos besser heilte als anderswo.

Berühmtheiten wie Christian Morgenstern, Thomas Mann, Alfred Henschke alias Klabund gehörten zu den Kurgästen der Schweizer Bergsanatorien. Insgesamt aber entstand eine morbide "Gesellschaft von Kranken". Die Gäste veränderten die sozialen Strukturen der einstigen Bergdörfer grundlegend - Hotels und Kurbetriebe schossen wie Pilze aus dem Boden. Die Anwesenheit zahlreicher jüdischer Patienten in Davos brachte gar den Bau (1931) eines jüdischen Friedhofes am Ort mit sich!

Anfangs hatte Dr. SPENGLER seine Patienten auf Spaziergänge und Klettertouren geschickt. Nach der TURBAN'schen Kritik aber hatte er die Kranken in sein Sanatorium zurückbeordert. Mit seiner "Davoser Liegekur” wurde er zum wahren Gründer des Höhen- und Lungenkurortes Davos. Vorgestellt wird eine Ansichtskarte, Davos 1902. Man sieht Kurgäste, die, vor Kälte bibernd, auf einer schneeumwehten Liegeterrasse ausharren: bis zu 10 Stunden am Tage dauerten diese Sessionen. Jeden Morgen wurden die Patienten in ihren aus einem speziellen Rattanrohr geflochtenen, mit Fellen belegten Liegebetten auf die großen hölzernen Balkone zur Südseite des Sanatoriums geschoben. ..