Pädiatrie


Kinderarbeit in Luxemburg

Ansichtskarte, um 1910

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 Die Industrialisierung Europas hatte menschenunwürdige Arbeitsbedingungen entstehen lassen, unter denen vor allem Frauen und Kinder zu leiden hatten. Lungenkrankheiten wurden hervorgerufen durch Staub und Flusen, Ekzeme traten gehäuft auf als Folge des ungeschützten Umganges mit ätzenden Lösungen und Dreck. Die zumeist monotone und geisttötende Tätigkeit verhinderte eine normale Entwicklung der Kinder. Die Überbeanspruchung von Muskulatur und Knochenbau rief schwere körperliche Schäden hervor, insbesondere Rückgradverkrümmungen durch zu schweres Heben und gebücktes Sitzen.

In Kopstal, wo seit dem 29.9.1895 Weiden angepflanzt wurden, arbeiteten Kinder und Jugendliche: die ganz Kleinen halfen der Mutter zu Hause, hier griff kein Gesetz, niemand konnte einer Mutter verbieten, ihre Kinder mit flechten zu lassen.

"La vannerie de l'établissement, installée à Kopstal, la vannerie des établissements pénitentiaires ainsi que quelques vanneries privées dans le rayon de la commune, auxquelles l'établissement fournit les outils et les matières nécessaires, ont réussi à fabriquer un chiffre rond de 35.000 paniers, dont près de 10.000 ont été expédiés à la maison-mère d'Epernay, qui, malgré les frais de transport de Luxembourg à Epernay et les droits d'entrée, arrive encore à réaliser un petit bénéfice" (Memorial 42/1907).

Dieser Text spricht von "privaten Flechtereien", eine elegante Umschreibung für die Heimarbeit - für die kein Arbeitsschutzgesetz anwendbar war. Anders in dem Flechthaus, der "vannerie", das als "Industriebetrieb" galt. Hier konnten Kinder erst ab dem vollendeten 12. Lebensjahr angestellt werden ...

Auf dem Bild - wohl um 1910 in der Korbflechterei von Kopstal entstanden - erkennt man deutlich mehrere kleinen Jungen, die, vornübergebeugt, ihrer mühseligen Arbeit nachgehen. Einziger Lichtblick: ein einsichtiger Vorarbeiter hatte ihnen einen Arbeitsplatz in der Nähe der Fenster zugewiesen ...

Auch im 1900 geschaffenen Blindenheim von Berburg wurden Kinder an die Kunst des Flechtens herangeführt. Der Staat stellte sogar die Schaffung einer eigenen Plantage in Aussicht, um die Flechterei mit besonders frischen Weidenruten beliefern zu können. Auch wenn später viele erwachsene Blinde hier betreut wurden, so darf man nicht vergessen, dass ursprünglich Kinder hier Aufnahme finden sollten und sich das Arbeitsprogramm speziell an sie richtete:

"In Ausführung des Gesetzes vom 14. Februar letzthin gedenkt die Regierung für künftigen Herbst eine Unterrichts- und Erziehungs-Anstalt für Blinde eröffnen zu können. Dieselbe soll zu Berburg errichtet und von Schwestern des Elisabetherinnen-Ordens geleitet werden. Diejenigen Personen und Anstalten, welche für diese Schule bestimmte Kinder in Pflege haben, sind gebeten den Unterzeichneten in Bälde hiervon in Kenntnis zu setzen.
Luxemburg, den 26. April 1900"
(Memorial 23/1900).

Was den Unterrichtsstoff im Blindenheim anbelangt, lesen wir im Reglement von 1906 (Memorial 52/1906):

"Art. 4. Der Fachunterricht erstreckt sich auf folgende Lehrgegenstände:

  • 1° Instrumentalmusik, besonders das Piano-, Harmonium- und Geigenspiel;
  • 2° Anfertigen von Bürsten und Matten;
  • Korbflechten;
  • 4° Stuhlflechten;
  • 5° für die Mädchen, Handarbeitsunterricht".

Während in Kopstal bezahlte A R B E I T im Vordergrund stand, stand in Berburg L E R N E N im Vordergrund ...

"L'institut a pour but de donner aux jeunes aveugles du pays l'éducation et l'instruction que les enfants normalement constitués acquièrent dans les écoles primaires, et de les initier aux métiers ou industries au moyen desquels ils pourront gagner leur vie" (Rapport général sur la situation de l'instruction primaire dans le Gr.-D. de Luxembourg pendant l'année scolaire 1911/12)

Zurück nach Kopstal, wo die 1912 eingeführte allgemeine Schulpflicht die Berufstätigkeit vieler Kinder einschränkte. Allerdings konnte Kindern unter 14 Jahren (nach Schulschluss) durchaus 6 Arbeitsstunden täglich zugemutet werden - Hauptsache sie hatten tagsüber die Schule besucht. Das heisst, dass Kinder erst zur Schule gingen, und anschliessend in die Arbeitsstuben mussten ... Ausnahmeregelungen im Gesetz öffneten viel krasseren Exzessen Tür und Tor: den Eltern blieb es auch nach 1912 möglich, ihre Kinder ab dem 11. Lebensjahr "zeitweise" vom Schulunterricht freistellen zu lassen - Gott weiss zu welchem Zweck ...

 

Ende der Kopstaler Korbflechterei
1895 hatte die am Hauptbahnhof Luxemburg ansässige Champagnerfabrik Mercier aus Epernay die auf Kehlener Bann gelegene "Altenmühle" gekauft und dort eine Korb- und Kistenfabrik eingerichtet. Umliegendes Land wurde in grösserem Stile hinzugekauft, (insgeamt 39 ha) und zum Teil als Weidenplantage angelegt - weswegen die Mühle von nun an "Weidenmühle" hiess. Mit dem 1. Weltkrieg zogen düstere Wolken über den Betrieb. Besorgt schrieb ein anonymer Dichter (Escher Tageblatt vom 9.6.1917):

"Nun scheint der Zauber vorüber.
Wie Kräuselt so stürmisch der Wein
Das Heute wird trüb und trüber:
wie mag das Morgen sein?"

Als sich die wirtschaftlichen Verhältnisse 1918 mit Aufkündigung der Zollunion mit Deutschland drastisch änderten, wurde der Betrieb Mercier unrentabel. 1928 wurde die "Weidenmühle" mitsamt 12 ha. Land an den Industriellen und spanischen Vizekonsul Nic. Zimmer-Maroldt (1873-1941) verkauft, der hier einen Herrensitz einrichtete, den er später zum Altenheim umbauen liess.