Innere Medizin


Apotheken-Rezept (3), um 1750

Wundwasser 

Adressat
"Für Verwendung AK P[ater]. Provincial". Das Amt des Provinzial wird im Jesuitenorden vom Generaloberen auf sechs Jahre vergeben. In dieser Zeit steht der Provinzial einer bestimmten Ordensprovinz, die sich aus verschiedenen Häuser einer Region zusammensetzt, vor. Bei den Redemptoristen bildet der Provinzial zusammen mit seinen Provinzräten, die für die Behandlung der Provinzangelegenheiten mitverantwortlich sind, die Provinzleitung; sie ist das ständige Organ der Leitung und Exekutive, das dem Provinzkapitel über seine Amtsführung Rechenschaft geben muß.

Zusammensetzung
Rp
Aqu[a]. Colo[niensis] viv[a] ..... z4 (4 Drachmen)
---- arq[e] Busat[a] ..................... z2 (2 Drachmen)
Extr[actum] Saturn[i] ............... zβ (eine halbe Drachme)
M[isce] f[iat]
Viten

Hauptbestandteil des Medikamentes war frisch zubereitetes ("viva") Kölnisch Wasser. 1709 entwickelte der italienischstämmige Johann Baptist Maria Farina (1683-1732 ) in Köln ein Duftwasser, in dessen Fabrikation Orangen, Pampelmusen, Citronen, Bergamotte, Cedrat, Limette und die Blüten und Kräuter italienischer Pflanzen eingingen. Ab 1714 vertrieb sein jüngerer Bruder Johann Maria Farina (1685-1766) ein von ihm entwickeltes Elixir „Aqua mirabilis“, das nicht als Duftwasser vertrieben, sondern als Medizin, die per os eingenommen wurde. Seine wundersame Kraft wurde weithin gepriesen, etwa als Präventionspräparat gegen die Pest, aber auch gegen Gelbsucht, Ohnmachten und - da kam das Duftwasser schon durch - gegen "stinkenden Atem". Schon bald zeugten mehr als fünfzig Hoflieferanten vom Erfolg des Produktes. Die französischen Kunden bezeichneten ab 1742 Johann Maria Farinas Produkt als "Eau de Cologne". - "Eau de Cologne“ wurde zum Synonym für leichte Duftwässer überhaupt.

Als erstes "Adjuvans" finden wir die "eau d'arquebusade" (Schußwasser, Wundwasser, Aqua vulneraria spirituosa, Vinosa) war ein klassisches Wundwasser. Im16. Jahrhundert waren kräuterheilkundige Mönche vom französischen König beauftragt worden, ein Mittel zur Behandlung der Gewehrschützen zu entwickeln, die unter wunden und verletzten Schultern litten. Das entstandene Elixier hieß „Eau d’Arquebusade“ und bestand aus über siebzig (vornehmlich in den Alpen gepflückten) Heilkräutern.
Das Wässerchen wurde im Prinzip äusserlich angewandt, konnte aber auch getrunken werden: "wenn das "Eau d'Arquebusade" nüchtern eingenommen wird, erfrischt es die kraftspendenden Quellen des Organismus, lässt die Körpertemperatur ansteigen und stärkt den Körper...".
Der schwedische Arzt MOST schrieb dazu 1845:
"Obgleich zur Heilung einfacher Wunden weder Wundwasser, noch Pflaster und Salben nötig sind, so gibt es doch Fälle, wo solche Wundwasser gegen die Blutung bei Verwundungen, wenn solche aus den feinen Gefäßen erfolgt, so wie gegen Quetschungen, gequetschte Wunden, z. B. Schusswunden, zum Verbinden unreiner, stinkender Geschwüre u. s. w. sehr nützlich sind. Unter diesen Wundwassern hat sich Theden's Arquebusade (Aqua vulneraria s. sclopetaria Tkedenii) besonders Ruf erworben. Sie besteht nach der neueren Pharmakopöe aus: rohem Essig, drei Pfund, rektifiziertem Weingeist, anderthalb Pfund, Honig ein Pfund, verdünnter Schwefelsäure, ein halbes Pfund. Auch gegen rheumatische Schmerzen am Kopf, Rücken, an den Gliedern ist dieses Wasser zu empfehlen. Man feuchtet Kompressen damit an und legt sie auf den schmerzhaften Teil. Ein gutes Gurgelwasser gegen üblen Mundgeruch, Mundfäule, faulige Bräune, gibt dieses Wundwasser gleichfalls ab".

Als zweites "Adjuvans" finden wir "Extractum Saturni" (Bleiessig, Bleiextrakt, Acetum Lithargyri, plumbicum) wird bereitet, indem man acht Lot Mennige mit drei Pfund destilliertem Essig in einem glasierten irdenen Topf unter stetem Umrühren so lange kocht, bis ein Pfund übrig bleibt, worauf es filtriert wird. Ein Lot davon auf ein Maß Regenwasser gibt das bekannte Goulardsche Bleiwasser, welches nur äußerlich, bei Brucheinklemmung auch in Klistieren, angewendet wird. Auch in der Tierarzneikunde kam Bleiwasser vor (Eustachius Hesberger, in Fulda (1798) :
"Das Vortreflichste Heil Wasser zu allen wunden welche frisch sind. Nehme in ein 4tel Schopen Wasser, 50 tropen Extractum Saturni und lasse es darin temperieren bis es ein grosen züsch gegeben hatt und alsdan alle wunde damit ausgewaschen es ist vortreflich guth".




Innere Medizin


Apotheken-Rezept (4), um 1780

Abführmittel

Rezepte kamen im 16. Jahrhundert auf. Es wurde in vielen Städten Pflicht in der Apotheke ein Rezeptbuch für die Ärzte auszulegen. Dieser schrieb dann Anordnungen für die Arzneizubereitung nieder (Hinrichsen T., Jodat B., Von Apotheken, Pillen und Kräutern, Husum 2001, S.16). Daraus entwickelten sich Rezeptsammlungen, „Medicametarien“ oder „Pharmakopöen“ genannt (Hinrichsen 2001, S. 24).

Abführung, Aderlass und Einlauf - sehr viel mehr hatte die Medizin im 17. und 18. Jahrhundert nicht zu bieten. Vorgestellt wird ein typisches Rezept für ein Abführmittel "ancien régime".

- Senné moudé (vgl. "moudre", mahlen; heute schreibt man "moulu")
- rhubarbe
- agaric de chac (heute hiesse es "chacun") un gros
- tamarind demi-once
- manne deux onces
dans un verre d'eau faites une purgation
Durande
pour Monsieur de St. Pierre

Zu dem Arzt Durande
Jean-François DURANDE (1732-1792) war der Erste, der in Dijon eine "Flors de Burgogne (1782) herausgab, in der die Pflanzen unter wissenschaftlichem Aspekt klassifiziert waren, sowie "Notions Élémentaires de Botanique, avec l'explication d'une carte composée pour servir aux cours publics de L'Académie de Dijon, Dijon, 1782 chez L.N. Frantin". An medizinischen Texten sind seine auch in deutscher Übersetzung viel gelesenen "Beobachtungen über die Würkung der Mischung von Schwefeläther und dem flüchtigen Terpentinöl bey Leberschmerzen die von Gallensteinen entstehen / Aus dem Französischen des Herrn Durande. - Helmstädt : Fleckeisen, 1791" am bekanntesten.

Zu den Inhaltsstoffen
- Senné, gemahlen. Bis ins Mittelalter fand Senna bei Infektions- krankheiten wie Lepra, Magenerkrankungen und Augenleiden Verwendung. Erst zu Beginn der Neuzeit, im 16. Jahrhundert, gewann die Pflanze ihre Bedeutung als Laxans (Abführmittel): Theophrastus Bombastus von Hohenheim empfahl Sennesblätter in Kombination mit Lauch und Wermut erstmals als Abführmittel.
- Medizinalrhabarber (Rheum rhabarbarum; nicht identisch mit unserm Gartenrhabarber) wird seit dem 16. Jh. aus China via Sibirien, unter russischer Kontrolle also, nach Europa importiert – erst nach England, Frankreich und den Niederlanden, seit Mitte des 19. Jh. auch nach Deutschland. Das aus der Wurzel gewonnene Pulver (Radix Rhei pulveratus) wirkt anregend auf die Dickdarmmuskulatur. Um den teuren Import zu umgehen, züchteten schlaue Mönche einen eigenen Rhabarber. So wurde in den Klostergärten der Franziskaner der Rhabarber, dem das berühmte Ordensmitglied Roger Bacon (1214 – 1294) wegen seiner laxierenden Wirkung besondere Heilkraft zugeschrieben hatte, so intensiv gezüchtet, daß eine Art der Pflanze den Namen "Rheum Franciscanorum" erhielt.
- Agaric. Agaric(um) ist ein auf alten Lärchen wachsender Pilz. Aus seinem Inneren wird das Abführmittel hergestellt.
- Tamarind. Aus den Früchten (Bohnen) des in Wüstenregionen wachsenden Tamarindenbaumes wird seit alters her ein Laxativum hergestellt
- Manna. Aus dem Fruchtfleisch des "Mannabaumes" (Cassia fistula) wird ein starkes Laxativum hergestellt. Alhagi maurorum kommt als charakteristische Wüstenpflanze in Westasien und Nordostafrika vor. Sie wurde auch in Nordamerika stellenweise eingebürgert. An heißen Tagen schwitzen die 1 Meter hohen Sträucher ein honigartiges Exkret aus, das in der Nacht zu rötlich-braunen Körnern erstarrt und am frühen Morgen in Krügen gesammelt wird. Es dient als Konfekt und leichtes Abführmittel. Es ist auch unter dem Namen „Persisches Manna“ bekannt.




Innere Medizin


Apotheken-Rezept (5), um 1800

Abführmittel 

Zusammensetzung
Mercur[ium] dulcis ................. gr Viij (8 Gran)
Pulvis Rhei ................................ gr XVj (16 Gran)
Sac[]char[um] alb[um] ......... Ð ij (2 Skrupel)
f. pulvis. .................................... (stelle das Pulver her)
dde in dos. N.viij ..................... (divide = teile; in doses = Einzelportionen; N = Nummer 8)

Hauptbestandteil (Cardinale) des Medikamentes war Süsser Quecksilber. Quecksilber(I)-chlorid (Kalomel, „schönes Schwarz“ von altgriechisch kalos=„schön“ und melas=„schwarz“, früher auch süßes Quecksilber oder Quecksilberchlorür) ist ein weißes, in Wasser nur sehr wenig lösliches, schweres Salz, das bei ca. 380 °C sublimiert. Im Licht verfärbt es sich allmählich dunkel bis schwarz (daher der Name Kalomel), weil es unter Disproportionierung zu elementarem Quecksilber und Quecksilber(II)-chlorid zerfällt.

Da es wegen seiner äußerst geringen Wasserlöslichkeit vom Körper kaum resorbiert wird, fand es vielfältige Anwendung in der Medizin: als Diuretikum, gegen Entzündungen in Nase und Rachen, als Abführmittel, zur Anregung der Gallenfunktion, gegen Brechdurchfall, bei Wassersucht, Milz-, Leber-, Lungenleiden, bei Gicht, sowie äußerlich gegen Hornhautflecken, Geschwüre, Skrofeln und Feigwarzen. "Mercur. dulcis contra Virus Gallicum" - Kalomel war Standardtherapie bei Syphilis ...

Da dem Kalomel in unserm Rezept Radix Rhei (medizinischer Rhabarber) als Adjuvans beigegeben wurde, ist anzunehmen, dass das Rezept insgesamt als Purgativum gedacht war. Saccharum album (weisser Zucker) wurde als Korrigens d.h. Geschmacksverbesserer zugefügt.

Die abführende Wirkung des Kalomels war nach neuesten Forschungen möglicherweise für den frühen Tod des Musikers Wolfgang Amadeus Mozart verantwortlich: Leopold Mozart, sein Vater, hatte damals wegen seiner vielen, häufig kranken Kinder eine umfangreiche Hausapotheke, die auch Kalomel enthielt. Die bekannten Symptome Depressionen, Mattigkeit, Ohnmachten, Schreckhaftigkeit, Erregbarkeit, Fieber, Exantheme, Nierenversagen sprechen für eine Quecksilbervergiftung durch den übermäßigen und ständig gesteigerten Verbrauch des Abführmittels Kalomel.

Kalomel war darüberhinaus ein geschätztes Antiphlogistikum. Der Rostocker Arzt Georg Friedrich MOST (1794-1845) empfahl 1845 in seiner "Enzyklopädie der Volksmedizin" "Versüßtes Quecksilber", Kalomel (Mercurius dulcis, s. Hydrargyrum muriaticum mite), etwa zwei bis drei Quäntchen in der Reiseapotheke mit sich zu führen:
"Dieses Mittel, — alle ein bis zwei Stunden einen bis drei Gran mit Zucker, — ist beim Croup vollsaftiger Kinder (nach vorgegangener Applikation von Blutegeln) oft das einzige Rettungsmittel, so wie in manchen Formen von Luftröhrenäste-, Hirn-, Herzbeutel-, Leber-, Milz- und Bauchfellentzündung u. a. m. "




Innere Medizin


Apotheken-Rezept (6), 1827

Abführmittel 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Faltbrief war die ursprüngliche Form des Briefes vor dem Aufkommen von Briefumschlägen, wobei die Enden des Papiers gefaltet und ineinander gesteckt sowie versiegelt wurden. Bis spät in die 50er Jahre des 19. Jahrhunderts waren diese Briefe üblich. Vorgestellt wird ein versiegelter, nicht (!) abgestempelter Faltbrief, der offenbar durch einen privaten Boten zugestellt wurde (Fehlen von Stempeln). Er erläutert ein Apotheken-Rezept, das beilag:

A Monsieur Weydert
juge de Paix et Propriétaire
Berg

Luxembourg le 10 décembre 1827
Monsieur
Ci-joint j'ai l'honneur de vous transmettre la recette de / l'Elixir de longvie avec les ingrédiens, que vous mettrez à infuser / dans und bouteille ou cruchon contenant un pot d'eau de vie, on / préfère l'eau de vie de france, ou encore de grains, mais point de / Schnaps; je me sert de l'eau de vie de Marc à défaut des deux / espèces précédentes, l'eau de vie de lits de vin serait également / bon pour les perçonnes, qui ne craignent pas avoir le sang trop / agité, c'est pour quoi je l'évite: l'aloës a déjà le défaut / inséparable de ses bonnes vertus de trop agir sur le sang, il faut / donc éviter de l'augmenter par une eau de vie, qui a le même effet, / on risquerait d'attrapper des attaques d'hémorroïdes, par cette / raison quelques femmes pourraient s'en trouver mal. / On met les ingrédiens concassés dans le cruchon, puis on ajoute / un peu d'eau de vie dans le petit pot contenant la theriac / et l'extrait de genievre, on les remue avec un petit baton, puis / on verse le tout dans le cruchon, on répète la même opération / trois, quatre fois, jusqu'à ce qu'il ne reste plus rien attaché au / petit pot, alors on verse le reste de l'eau de vie dans le cruchon / et on le pose pendant une huitaine dans la tac ou auprès du / poïl, ou même un ou deux jour sur le poïl, quand il est froid, / pour que le cruchon ou la bouteille s'échauffe lentement avec / le poïl, de crainte de le faire peter, on a soin de remuer quelques fois/ par jour la mixture, pour que les matières résineuses ne s'attachent /pas au fond, et que le tout se combine bien; si on place la bouteille / sur le poïl il ne faut pas qu'elle soit trop plaine, l'élixir en / s'échauffant gonfle de manière qu'il sortirait en partie par le haut / de la bouteille. / Mr. Berger vous aura dit, que la loi du 6 novembre 1813, concernant / les scellés à apposer sur les meubles des titulaires d'une cure à leur décès, / est en vigueur. Mr. de la Fontaine m'a dit que nous pourrons / sans risque omettre ces scellés, jusqu'à ce que l'exécution de cette loi / nous soit recommandée par une autorité supérieure. / Veuillez agréer, Monsieur, et présenter chez vous / l'expression de mes sentimens d'une parfaite considération / et amitié.
J. Heynen.

 

 

Quand on veut faire usage de l'élixir / pendant une huitaine ou plus, on en prend ordinairement / une cuillière au matin et une au soir, ou plus tôt on en / prend autant qu'il faut pour aller deux fois par jour / à selle; pour ne pas nuir à la poitrine et diminuer / le mauvais goût, on mêle de l'eau à volonté à la / dose, et on mache un morceau de sucre avant d'avaler / et un morceau après, de la confiture fait le même effet. / Pour le reste on mange et on bois comme à m'ordinaire / on peut même déjeuner immédiatement après avoir pris / la dose. on recommande aux personnes qui attrapent / des maux de ventre par l'élixire, de ne pas faire usage / des laitages".

Zum Adressaten des Briefes: mit dem Friedensrichter von Betzdorf und Grevenmacher Jean-Baptiste WEYDERT treten wir in die luxemburger Hochfinanz ein. Eine Tochter heiratete in der Tat Vincent Muller aus Langsur, deren Sohn Hubert (Muller-Tesch) Direktor der ARBED (jetzt Arcelor-Mittal) wurde - was erklärt, warum der hier vorgestellte Brief in einem Konvolut von Schriftstücken der Industriellenfamilie Collart aus Dommeldingen auftauchte ...

 

Wer aber war der Absender dieses Briefes mit dem beiliegenden und kommentierten Rezept? J(oseph) HEYNEN war kein Arzt; das zeigt schon die Bemerkung über die "scellés" und der wiederholte Bezug auf juristische Kreise. Wir finden die Spur des Joseph HEYNEN in den "Logements militaires" von Alphonse Rupprecht wieder, wo er S. 362 erwähnt wird [unter Berufung auf Neyen III S. 183]: Joseph HEYNEN wurde um 1780 in Luxemburg geboren als Sohn des "conseiller et procureur général au Conseil provincial" und zog sich später nach Ehnen zurück, wo er sich politisch betätigte "fut deux fois envoyé par les électeurs du canton de Grevenmacher à la chambre des députés, où il siégea du 3 octobre 1848 au juin 1851 et du 7 octobre 1851 au 2 mai 1852, jour de son décès".

 

Gaspard-Theodore-Ignace de la FONTAINE (1787-1871) war in Luxemburg geboren und seit 1810 Anwalt in der Hauptstadt - seit 1816 Mitglied der "États provinciaux"; später Gouverneur und erster Regierungspräsident Luxemburgs.


Nicolas BERGER (1800-1883) stammte aus Roodt/Syre und war ab 1823 Anwalt in Luxemburg, später Bankier und Vizepräsident des Tribunals in Arlon.

 

Kurpfuscherei auf höchstem sozialen Niveau!

 

Hier die Zusammensetzung des "Elixir de longvie" (hat nichts mit der Stadt Longwy zu tun!):
Rp
aloes sucotr. El. ................ ℥j (1 Unze Socotra-Aloe)
Radix Rhey. El. ................. zij (2 Drachmen medizinische Rhabarberwurzel)
---- Zedoar. ............................ (Zitwerwurzel)
---- Gentian. ........................... (Enzianwurzel)
---- Galang. ............................ (Galgantwurzel).
---- Angelic. aa .................. ℥β (Engelwurz, von jedem ½ Unze)
Myrrh. El ................................ (Myrrhe)
Agaric. alb. aa ..................... zj (weisser Lärchenschwamm, von jedem 1 Drachme)
Croci orient . .....................  ∃ij (2 Skrupel Safran)
M.f. spec. Incis. rad. .............................. (Misce fiat species = Mische, so daß es ein Tee wird. incis.rad. =               

                                           die zerkleinerten Wurzeln) 

et D. ad c[h]art. ..................................... (et da ad chartas +und fülle alles in Papiertütchen ab)

 

Rp.
Theriac. androm. ..................... (Theriak des Andromachus)
Extrac. juniper. aa ............  ziij (Wacholderbeeren-Extrakt, von jedem 3 Drachmen)
D[a]. ....................................................... (Gib es, es möge gegeben werden)
à infuser dans un pot d'eau de vie /
préférablement de france ou de grains.

Das Medikament wirkte abführend und harntreibend, weswegen vorsichtshalber herzstärkende Mittel beigemischt waren. Als Hauptbestandteile des Lebenselixirs erkennt man die Abführmittel Aloe, Agaricum und Rhabarberwurzel sowie das Allheilmittel Theriak. Als Entwässerungsmittel ist Wacholder beigemengt. „Zedoariae Rhizoma“ wurde aus den getrockneten Rhizom-Wurzeln der Zitwerwurzel hergestellt und wurde als Magen- Galle- und Lebermittel verwendet. Die Wurzel des gelben Enzian half bei Appetitmangel, Blähungen, Erschöpfung, Fieber. Sie war herzstärkend und wurde bei Leberbeschwerden und "verdorbenem" Magen angewandt. Galgantwurzel bewirkt eine Steigerung der Magensaftsekretion. Engelwurz schützte vor Infektionen. Während der Pestepidemien kauten Ärzte auf der Wurzel der Engelwurz, um sich vor Ansteckung zu schützen. Bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulzerosa bietet die Myrrhe, wie ernsthafte Studien zeigen, eine echte Alternative zur Standardtherapie mit Sulfasalazin ... Safran wirkt schmerzstillend und herzstärkend.

 

Ein ähnliches Rezept befindet sich in den "Archives départementales de Savoie":
www.savoie.fr/archives73/expo_boire_et_manger/pages/33.htm
- ebenso wie in den Aufzeichnungen des schwedischen Arztes Kristian Henrik HJÄRNE (1709-1794) und seines Landsmannes Claus SAMST gen. YERNEST:
www.boudry-historique.net/page28.html
Noch heute leben die zahlreichen "Schwedenbitter" von der Aura dieser Ärzte. Die Sehnsucht nach dem Ewigen Leben scheint besonders zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Gemüter bewegt zu haben: 1830 gab Honoré de Balzac (1799-1850) seinen Roman "L'ELIXIR DE LONGUE VIE" heraus.



Der hier vorgestellte Brief ist ein Geschenk der Familie Jean Bichel aus Helmsange; mein besonderer Dank von dieser Stelle.




Innere Medizin


Apotheken-Rezept (7), 1875

Abführmittel 

Inhaltsstoffe
Rp.
Tinct[ura] Aloës Camp .............................. grm 45,00
D[a]s[igna] ..................................................(gib und bezeichne)
ter de die gtt 25 .......................................... (drei mal am Tag 25 Tropfen)
E. ARENS

Am 17. Juli 1875 verschrieb der seit 1872 als Augenarzt in Luxemburg etablierte Edouard ARENS (1846-1887) seinem (namentlich nicht genannten) Patienten Aloë-Tinctur, die in der Apotheke von François HELDENSTEIN (1820-1907) ausgegeben wurde. HELDENSTEIN hatte 1860 die Apotheke von François DARGENT (1805-1869) in Luxemburg-Eich übernommen.

Um eine Verwechslung mit der althergebrachten Abkürzung gr für Gran auszuschliessen, schrieb CARY grm für Gramm - dem modernen, seit wenigen Jahren gebräuchlichen metrischen System der Dosierung!

Einzige Wirksubstanz in diesem Rezept ist ein Extrakt aus Aloë:
"Die Heilkräfte der Aloe vera sind seit dem Altertum bekannt und wurden durch die Jahrhunderte überliefert. Erst durch die industrielle und synthetische Herstellung von Medikamenten wurde um 1900 der allgemeine Gebrauch dieses Naturheilmittels beendet, obwohl Sebastian Kneipp in seinem Gesundheits-Wegweiser »So sollt ihr leben« (1889, 20. Auflage 1894) noch ausdrücklich auf die Aloe aufmerksam gemacht hatte. Das »Klinische Recept-Taschenbuch für praktische Ärzte« aus dem Jahr 1902 verzeichnet die Aloe-Tinktur nur noch als Abführmittel, aber selbst diese Wirkung ist heute weitgehend vergessen. Aloe ist als Pulver oder Trockenextrakt sowie als Dick- oder Fluidestrakt erhältlich" (Alice Beringer, Aloe vera. Die Königin der Heilpflanzen).

Die Aloe-Tinktur wirkt milder als Pulver oder Trockenextrakt. Die Tagesdosis beträgt 50 bis 200 mg Pulver.

Das Besondere an diesem Rezept ist die Verwendung von Camp[her] - es gab keine "teinture d'aloës camphrée". Offenbar hatte ARENS mit seinem Apotheker ein Abkommen, sodass dieser wusste, wieviel von diesem Kampher er zugeben musste. Insbesondere im deutschen Sprachraum scheint diese Kombination klassisch gewesen zu sein:

  • die "teinture fébrifuge de l'hôpital de Vienne" setzte sich zusammen aus 45 g Aloës, 6 g Kampher, 250 g Orangenschale, 250 g éaunée" und 7.500 g Alkohol.
  • die "teinture de WARBURG" enthielt 4 g Aloe hepaticum; 4 g Zedoaire- und 0,1 g Angelikawurzel, 0,10 g Kampher, 0,15 g Safran und 100 g Alkohol,
  • die "teinture cordiale RYMER enthielt Aloe, Rhabarber, Kardamon, Kampher, Capsicum, Alkohol und Castoreum (zit. Dorvault, L'Officine Paris 1910 S. 1374) ...




Innere Medizin


Apotheken-Rezept (8), 1941

Herzmittel 

Am 27. Mai 1941 verschrieb Dr. Alfred WIROLLE (1893-1955) seinem Patienten H. Greiveldinger PUROSTROPHAN, ein orales Strophantinpräparat. Amüsant ist die empfohlene Dosierung: 3-4 Tage die Woche !!! Das erinnert mich an meine Mutter selig, die ihre Herztabletten nur bei herannahender Föhnfront einnahm: alte Praktiker rieten auch bei dem früher als Herzmittel viel eingesetzten Digitalis zu einer "Wochenendpause", aus Angst vor einer Überdosierung! Auf diese Art kam keine Vergiftung, aber auch nie ein wirklich ausreichender Wirkspiegel zustande ...

Interessant ist das Rezept auch auf dem Hintergrund der aktuellen Bestrebungen, orales Strophantin von der Rezeptpflicht zu entbinden.

Zur Geschichte des Strophantins
Strophanthin kommt im Samen von verschiedenen afrikanischen Pflanzen der Gattung Strophanthus (Familie der Hundsgiftgewächse) vor. Die Eingeborenen Afrikas verwenden die Samen der Strophanthus-Arten als Pfeilgift. Die Herzwirkung des Strophanthus-Samens wurde 1859 per Zufall entdeckt:
"1859 erkrankte der Engländer Dr. Kirk, Konsul von Sansibar, auf einer seiner Reisen ins Sambesigebiet an einer Tropeninfektion. Er klagte über beklemmende, stechende Schmerzen in der Herzgegend. Kirk hatte in sein Reisegepäck Samen der Liane Strophantus gratus gesammelt. Er hatte erfahren, dass die dortigen Eingeborenen aus diesen Samen ein Pfeilgift herstellten. Die eingesammelten Strophantussamen verunreinigten seine Zahnbürste, die er wie die Samen in seinem Reisegepäck mit sich trug. Beim Zähneputzen verschwanden wie durch ein Wunder seine Herzbeschwerden. Mit diesem Urdoppelblindversuch beginnt die Geschichte eines der segensreichsten Arzneimittel, das der Menschheit zufällig in die Hände fiel: Dr. Kirk brachte den Strophantussamen nach England. Konsul Kirk berichtete über seine Erfahrung, die er während seiner Reise ins Sambesigebiet beim Zähneputzen gemacht hatte: Sie deutete auf eine verblüffende Arzneiwirksamkeit"

(https://herzinfarkt.twoday.net/20050225/).

 

Der schottische Botaniker Dr. Johann Kirk, Begleiter David Livingstones auf einer Expetition in Süd-Ost-Afrika im Jahre 1859, hatte seine Zahnbürste eines Tages versehentlich in eine Tasche gesteckt, die mit pulverisierten Samen des Kletterstrauches Strophantus kombé verunreinigt war. Als Dr. Kirk, der an Angina pectoris litt, diese beim Zähneputzen unbemerkt mitbenutzte, spürte er erst einen bitteren Geschmack im Mund, und daraufhin verschwanden unmittelbar seine Herzbeschwerden.


1862 gelang es dem Pharmakologen und Kliniker Thomas FRASER (1841-1920) aus Edinburgh, aus dem Samen des Strophanthus kombé k-Strophanthin zu isolieren. 1885 wurde der Gesamtextrakt von S. kombé als Tinctura strophanthia in die Herztherapie eingeführt und 1893 ins deutsche Arzneibuch aufgenommen. 1888 isolierte der französische Chemiker Arnaud das g-Strophanthin aus Strophanthus gratus und Acokanthera ouabaio, welches ab 1904 als Reinsubstanz zur oralen Einnahme zur Verfügung stand.
Die therapeutische Weiterentwicklung und der Nachweis der schnellen und starken Wirkung bei intravenös verabreichtem k-Strophanthin geht auf den deutschen Arzt Albert FRAENKEL (1864-1938) zurück, der es ab 1905 bei Herzinsuffizienz anwandte. In Zusammenarbeit mit ihm entwickelte das damalige Pharmaunternehmen Boehringer Mannheim die erste intravenöse Darreichungsform Kombetin®, die bis zum Ende des 20. Jahrhunderts im Handel war. Ab 1906 war der Einsatz intravenös applizierten Strophanthins allgemein anerkannt.

 

Zur Geschichte der oralen Verabreichung des Strophantins
Historisch ist die orale Verabreichung die ursprüngliche Darreichungsform: in der Tat wurde die Herzwirkung des Strophanthus-Samens 1859 entdeckt, als während der Livingstone-Expedition in Afrika die Zahnbürste des Arztes und Biologen Dr. John KIRK (1832-1922) von diesem unbemerkt in Kontakt mit dem Strophanthus-Pfeilgift kam und unmittelbar darauf ... dessen Herzbeschwerden verschwanden.
Da in den damaligen Ostafrikanischen Kolonien das Deutsche Reich laufend mit gewollten oder ungewollten Vergiftungen mit diesem Pfeilgift konfrontiert war, zeigte sich die deutsche Forschung dieser Substanz gegenüber besonders "aufgeschlossen" - man ersann (nicht wirksame) Impfstoffe, Antidote etc. Auch die Grundlagenforschung war in höchstem Masse an der Substanz interessiert, zumal das wirtschaftliche Interesse an einem wirksamen Herzmittel nicht zu unterschätzen war ...


Ernst EDENS (1876-1944) setzte ab 1928 intravenöses (!) Strophanthin auch bei Angina Pectoris und Herzinfarkt erfolgreich ein, einer damals noch seltenen Erkrankung. Der Stuttgarter Internist Berthold KERN entsann sich der oralen Form und führte 1947 oral (!) verabreichtes g-Strophanthin zur Vorbeugung und Behandlung der Angina Pectoris und des zunehmend aufkommenden Myokardinfarktes ein. Aus der ärztlichen Praxis ist die Substanz so ziemlich verschwunden, sehr zur Verdrossenheit der Anhänger des oralen Strophantins als vorbeugendes Mittel gegen Herzinfarkt ...

https://strophanthin.twoday.net/
https://www.neuwinger-online.de/ethnobot.html
https://herzinfarkt.twoday.net/topics/Strophantin%2Bvor%2Bdem%2BAUS/

 

   




 

Innere Medizin


Arztbesuch, Anfrage (1)

 

Am 6. Januar 1903 schrieb Herr Schneidesch aus Bettemburg an den in der rue de l'Arsenal in der Hauptstadt etablierten Zahnarzt François WIRION (1877-1925) und teilte diesem mit, dass er am siebten bei ihm vorbeikomme und um einen "reservierten" Termin um viertel nach neun bitte ...

Der resolute Ton des Textes ist etwas befremdlich. Eine Recherche zur Person des Patienten erbrachte die Erklärung für das etwas merkwürdige Benehmen: Jean-Nicolas Schneidesch war um die Jahrhundertwende Richter in Luxemburg.
Für heutige Menschen ist auch das Gottvertrauen auf die pünktliche Zustellung der Briefpost eine Feststellung "aus einer anderen Welt"...




Innere Medizin


Arztbesuch, Anfrage (2)

 

5.1.07
Ich habe ein Kind, Mädchen, von 6 Jahren, das schon seit 8 Tagen krank ist; heute ist das dasselbe aber schlechter geworden und sehe ich mich gezwungen, den Herrn Doctor zu bitten, mein Kind gefälligst besuchen zu kommen. das Kindchen isst fast gar nichts, zeigt immer Neigung zum Erbrechen und kann doch nicht; heute ist das Weisse von den Augen fast gelb geworden und ist der Wasserabgang ganz breiig und roth.-
Achtungsvoll
Nic. Koch Grenzaufseher in Kahler

7.4.17
Werter Herr Docteur,
Mein Söhnchen von 5 Wochen leidet an einer Art Nabelbruch, die Hebamme meint Herr Docteur müsse sofort kommen Im Falle H. Docteur etwas müsse brennen (unterstrichen), denn 1 Stückchen Fleisch, Haselnussdick u. grösser ist beim Nabel seit 2 Tagen herausgequollen u. alles fest binden, nutzt nichts. das Kind weint beständig, also soll H. Arendt das nötige mitbringen u. sofort kommen
Achtungsvoll
Peschon, GrenzAufseher in Gaichel


Beide Briefe erinnern an Berichte aus den Grenzposten - beide Schreiber hatten als Grenzwächter Übung im Verfassen von Lageberichte. Der leicht autoritäre Ton fällt auf!




Innere Medizin


Arztbesuch, Anfrage (3)

 

Von allen Anfragen finde ich diese (12.7.1915) am allerkeckesten: eine Lehrerin teilt dem Arzt mit, dass sie mit dem Nachmittagszug 2.20 in Larochette ankommen wird. Den Fall gesetzt, er habe keine Zeit für sie, solle er es sie wissen lassen - bitte" ...

Die Postkarte kam am Dienstag den 13.7. in Larochette an, vorgesehen war ein Termin am kommenden Donnerstag, folglich am 15 ! Kurzfristiger kann man sich nicht anmelden!

Auch die Anrede ist für eine Dame ziemlich dreist "Monsieur".


Zu den Praxisräumen
Sollte der Patient zum Arzt, oder sollte der Arzt zum Patienten - eine seit der Antike unterschiedlich gehandhabte Problematik.
Wanderärzte gingen zu ihren Patienten. Diese Behandlung der Kranken in deren Haus war lange Zeit die Regel.
Doch schon im alten Griechenland richteten sich viele Ärzte eine öffentliche Praxis ein. Dieser Raum war im alten Griechenland sehr spartanisch eingerichtet: Instrumente und Medikamente wurden einfach in Truhen verstaut. Vieles wurde an Haken und Nägeln an der Wand aufgehängt. Auch wurden einzelne oder mehrere Bretter regalartig an der Wand befestigt. Erst in der römischen Zeit setzten sich Spinde mit verschließbaren Türen durch, um diverse Utensilien sicher aufzubewahren. Das einzige, was die Arztpraxis von anderen Räumen unterschied, war die Nutzung ...
Im Mittelalter waren Arztpraxen eine Seltenheit - meist suchte der Arzt seine Patienten in deren Wohnung auf.
Seit der Renaissance mehreren sich Berichte von Praxen.
Im 19. Jahrhundert setzte eine regelrechte Patientenflut ein. Aus England wird berichtet, dass vor allem Frauen mit ihren Kindern die Praxen stürmten, während Männer eher stoisch blieben. Die jungen Mütter werden jedenfalls zu den ersten modernen Patienten gezählt, die sich durch ein neues Gesundheitsbewusstsein auszeichneten.
Praxisräume unterschieden sich nur unwesentlich von privaten Wohnräumen - einmal abgesehen von den unverwüstlichen Fowlerbüsten, die ab fast jede Praxis schmückten! Ein junger unverheirateter Arzt konnte ohne weiteres seinen Salon als Wartezimmer und seinen Schlafraum als Sprechzimmer benutzen.
Aus einer Arbeit von René Zimmer übernehmen wir diese Aussaggen zur Lage in der Stadt Halle:
"Als Anfänger mußte man mit der sogenannten „Dachboden- oder Kellerpraxis“ vorliebnehmen und hatte dort die ärmeren, oft zahlungsunfähigen Patienten aus der städtischen und ländlichen Arbeiterbevölkerung zu verarzten. Doch glücklich verlaufene Behandlungsfälle trugen dazu bei, den jungen Arzt in der Stadt bekannt zu machen. So diente die „Arme-Leute-Praxis“ als Sprungbrett für die eigentlich angestrebte, gewinnbringende Praxis in den bürgerlichen Haushalten" (https://www.soziologie.uni-halle.de/publikationen/pdf/9704.pdf).
Über Jahrhunderte bedienten sich die Ärzte einfachster Geräte bei der Diagnostik: Harnglas, Stethoskop. Mit der Elektrifizierung der Praxen und der Installation komplexer diagnostischer und therapeutischer Apparate gewann die Arztpraxis an Profil: ab dem ausgehenden 19. Jh. machten es die schweren Apparate unmöglich, alle Verrichtungen ambulant am privaten Krankenbett des Patienten zu verrichten.




Innere Medizin


Arztrechnung (1): 1871

Dr. MAYRISCH 

Heutige Arztrechnungen müssen fein säuberlich chronologisch getrennt die tariflichen Leistungen auflisten - die Krankenkassen führen Buch (und Statistik) über jede Position. Als es noch keine Krankenkassen gab, da waren die Arztrechnungen bedeutend "bunter". Als Beispiel sei hier eine Rechnung des seit 1854 in Eich etablierten Arztes Edouard MAYRISCH (1825-1873) angeführt, die er am 31. Dezember 1871 an Charles Collart "industriel à Dommeldange" schickte - eine Sammelrechnung für das verflossene Jahr:

  • traitement de Neckel (Jannuar)
  • Vaccination (Februar)
  • traitement de la cuisinière (Februar, März und April)
  • traitement de Mons. Ch. Collart (Mai, August und September)
  • traitement de l'ouvrier Flammang (August)
  • à déduire une tondeuse.

    Die Behandlung des Mons. Collart hatte insgesamt 7 Franken verschlungen. Mächtigster Posten aber war die Pockenimpfung, für die MAYRISCH 10 Franken verlangte - möglicherweise war der gesamte Haushalt durchgeimpft worden ...

    Typisch für jene Zeit ist die Tatsache, dass sowohl "Neckel" als auch die Köchin und der Arbeiter Flammang auf Kosten der "Herrschaften" behandelt wurden. Ebenso typisch für die "kassenlose" Zeit ist das Abziehen von Sachleistungen: Collart hatte dem Arzt eine "tondeuse" verkauft (1830 hatten die Engländer Edwin Beard BUDDING den Rasenmäher erfunden), die am Ende der Rechnung von der zu entrichtenden Summe abgezogen wurde ...

    Charles Collart war 1829 geboren. Er starb 1910 in Dommeldingen. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder Jules gründete er die Gesellschaft Ch.&J. Collart, die 1856 die Steinforter Hütte von Guillaume Pescatore übernahm, eine Eisenschmelze, die ursprünglich Rasenerz verhüttete, später Erze aus dem Minettebecken, die ab 1873 mit der Bahn nach Steinfort gebracht wurden. 1872 gründeten beide Brüder die "Société anonyme des Hauts-Fourneaux de Rodange", die das Minette-Erz auf Dauer preiswerter verarbeiten konnte, da die enormen Transportkosten nach Steinfort entfielen ...




Innere Medizin


Arztrechnung (2): 1879

Dr. BIVORT 

Am 1.1.1874 wurde Jean-Baptiste-Albert BIVORT (1830-1884) Kantonalarzt des Kantons Luxemburg als Nachfolger des am 21.6.1873 verstorbenen Eduard MAYRISCH. Auch im Haushalt Collart in Dommeldingen löste er Mayrisch ab. Vorgestellt wird eine Arztrechnung aus dem Jahre 1879, wiederum eine "Jahresrechnung", ohne Spezifizierung der geleisteten Dienste. Beachtenswert erscheinen mir

  • das originelle Design des Buchstaben mit denen der Namen geschrieben ist: Bildbuchstaben, die aus Holzstückchen aufgebaut sind - Ankünder des Jugendstils.
  • die Unterschrift E. Bivort, die davon zeugt, dass schon damals die Ehefrauen sich um die Finanzen der Göttergatten kümmern mussten: Bivort war mit Elise Reuter verheiratet, die sich offensichtlich eine Ehre daraus machte, die Honorare ihrer besseren Hälfte einzutreiben ...


    Wie sagte schon der grosse Schauspieler Alec Guiness (1914-2000): "Nichts beschleunigt die Genesung so sehr wie regelmäßige Arztrechnungen". Wollten die Ärzte des 19. Jahrhunderts etwa gar nicht, dass ihre Patienten schnell genasen, und schickten sie daher nur ein einziges Mal im Jahr eine Rechnung ?




Innere Medizin


Asthmatherapie (1) Inhalator

 

Asthma wird seit der Antike mit den unterschiedlichsten Mitteln behandelt. Weihrauch, Thymian, Stechapfel, Bilsenkraut...

Anfang des 19. Jahrhunderts behandelte man mit sanfter Diät. Veilchentee, Ipecacuana-Pillchen, Massage an der Wirbelsäule entlang, den obligaten Aderlass mit Blutegeln, die am Anus und an der Vulva angesetzt wurden. Im Anfall wurde der Patient an ein Fenster geschoben, die Kleidung aufgeschnürt, alle überflüssigen Personen aus dem Raum entfernt. Man verpasste einen Einlauf mit Senne und Asa foetida, welches in einem Eigelb aufgelöst war. Gegen die Krämpfe flözte man Distillate von Carbo benedictus, Linden- und Orangenblüten ein.. Einige Tropfen Aether auf einem Stück Zucker waren manchmal hilfreich, ebensowie ein Ipecahuana als Brechmittel. Sauerstoff, im Luftgemisch oder pur, wurde verabreicht (zit. Dictionnaire des sciences médicales, Paris 1812)
Erst im 19. Jahrhundert wurde damit begonnen, den Pathomechanismus der Krankheit abzuklären. Der deutsche Anatom Franz Daniel REISSEISEN (1773-1828) entdeckte 1804 die glatte Bronchialmuskulatur, Claude BERNARD (1813-1878) deckte deren Rolle beim Asthma auf und konnte darlegen, dass das Leiden auf einer Zusammenziehung der Reisseisen’schen Muskel durch die Erregung des Vagusnervs beruht. Asthma, ein nervöses Leiden ...

Erst 1914 gelang es dem Franzosen Fernand WIDAL (1862-1929), einen anaphylaktischen Mechanismus im Asthma darzulegen. Heute nimmt man an, dass Asthma eine chronisch entzündliche Erkrankung der Atemwege ist, die mit einer Überempfindlichkeit der Bronchien einhergeht.

Was stand um 1911 an Medikamenten zur Verfügung ?
- Als Spezifikum stand im Intervall zwischen zwei Anfällen Jodkali zur Verfügung. Gute Dienste leistete auch komprimierte Luft.
- Viele Ärzte gaben im Anfall Morphium (10 mgr s.c.) assoziiert mit 1 mgr. Atropin.

Die "Neue Deutsche Klinik" von 1928 nennt zur Inhalation

  • salinische Salze (Kochsalz, Emser, Sodener, Reichenhaller Salz u.a.),
  • Menthol,
  • Terpentinpräparate,
  • Kieferlatschenöl,
  • Glycerinan (Glycerin und Suprarenin enthaltend),
  • Adrenalin.

    Vorgestellt wird ein Pulverzerstäuber für Asthmakranke, mit dem um 1911 nicht näher beschriebene Pulver inhaliert wurden. Vertrieb durch den Apotheker M. Lancelot in Haus 14-16 der rue du Rendez-vous in Paris. Noch heute gibt es in Haus 14 eine Apotheke, die „pharmacie du Rendez-vous“ resp. „pharmacie BILLOT“.

    Erworben im September 2007, Herkunftsort: Crespinhac in der Auvergne.

    Lit.:
    Isaak Saidiner, Die Zusammensetzung der Geheimmittel gegen das Asthma bronchiale, These Berlin 1907.