Ophthalmologie |
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Handmagnet n. HIRSCHBERG |
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Fremdkörper können durch verschiedene Vorgänge ins Auge gelangen – etwa bei der Bearbeitung von Metall, Holz, durch Glassplitter, einen zurückfedernden Ast, Sport- oder Autounfälle, beim Spielen von Kindern oder durch eine unbedachte Bewegung u.v.m. Oftmals bietet zwar der Lidschlussreflex vor Fremdkörpern Schutz, jedoch nicht immer ausreichend. Selbst kleine Fremdkörper (z.B. Mücke, Sandkorn) machen sich sehr unangenehm und schmerzhaft bemerkbar – besonders wenn diese unter das Oberlid gelangen.
Mit der Verbreitung der Eisenhütten wurden Kliniken mit mannsgroßen Elektro-Magneten ausgestattet, mit denen Funkensplitter aus den Augen der Arbeiter gezogen werden konnten. Für den kleinen Mann sprich den niedergelassenen Augenarzt gab es entsprechend kleine Magneten, mit denen auch er versuchen konnte, Eisensplitter aus dem Auge hervorzuziehen.
Bei Unfällen mit Metallsplittern wird zuerst versucht diese mit möglichst wenig Kontakt zum Gewebe mithilfe des Magneten herauszuziehen. Bisweilen kann ein spezieller Handmagnet verwendet werden, um Fremdkörper aus Metall zu entfernen.
Exponat
1901 arbeitete Julius HIRSCHBERG (1843-1925) mit 4 (!) Magneten (einem Riesenmagneten in HAAB’scher Art, einem SCHLÖSSER‘schen Apparat und zwei kleinen, von Dörffel und Färber angefertigten Handmagneten), wobei uns besonders das leichteste der Handmodelle interessiert:
Hier der Bericht einer Operation an einem Schmied durch Hirschberg von 1899:
„Hirschberg berichtet über zwei mit Hilfe seines Elektromagneten vorgenommene Extractionen von Eisensplittern aus dem Glaskörper. Der eine Eisensplitter hatte eine Länge von 16 mm und wog 5 mg. Verfasser hält die seinem Instrument gemachten Vorwürfe für unbegründet. Die geschickte Einführung des aseptischen Magneten ist unbedingt als ungefährlich zu betrachten. Ist der Fall frisch, die Wunde der Sklera offen, der Eisensplitter im Glaskörper sichtbar oder sicher anzunehmen, so wird, nöthigenfalls nach Erweiterung der Wunde, der Magnet in’s Augeninnere eingeführt. Bei grösserer Hornhautwunde und stärkerer Zerschmetterung der Linse und des Glaskörpers, wo ein grösserer Splitter in der Tiefe sich befindet, aber der Augenspiegel seinen Dienst versagt, empfiehlt es sich, den dickeren Ansatz des Magneten eben zwischen die Wundlefzen zu bringen. Ist die Wunde bereits geschlossen, so wird in der Chloroformnarkose hinter dem Ciliarkörper ein Meridionalschnitt gemacht und der Magnet eingeführt.' Nicht in jedem Falle gelingt es, durch Extraction des Fremdkörpers die Sehkraft des verletzten Auges zu retten. Besonders sind alle jene Fälle erfolglos, wo der Splitter übergross war oder wo derselbe schon vorher eine fortschreitende Eiterung eingeleitet hatte“ (Wiener klinische Rundschau, Nr.29 vom 19. Juli 1896 S.508).
„Bei Verwendung des kleinen Hirschberg’schen Magneten muss man trachten, die Spitze desselben dem zu extrahirenden Eisenspahn möglichst nahe zu bringen, da sonst bei der verhältnissmässig geringen Kraft des Magneten die Anziehung - besonders sehr kleiner Eisenspähne - ausbliebe. In Fällen, wo der Fremdkörper in der Vorderkammer liegt oder zum mindesten in diese hineinragt, kann man dieser Forderung leicht entsprechen; man eröffnet die vordere Kammer durch einen Lanzenschnitt an einer dem Eisenspahn nahegelegenen Stelle des Limbus und kann nun die Spitze des Magneten in die vordere Kammer einführen, um sie dem Eisenspahn zu nähern. Will man mit Hilfe des Hirschbergschen Magneten Eisenspähne aus dem hinteren Bulbusabschnitt entfernen, so muss man den Augapfel durch einen meridionalen Skleralschnitt eröffnen - möglichst nahe der Stelle, wo sich der Fremdkörper befindet“ (Wiener klein. Wochenschrift Nr.43 vom 27. Oktober 1898 S.966).
Bei metallischen Fremdkörpern können abgegebene Substanzen zu Schäden führen. Eisen und Kupfer können sich ablagern. Eisenablagerungen (Siderosis, „Rost“) können an mehreren Strukturen des Auges zu Veränderungen führen, die das Sehen dauerhaft bedrohen können. Im Vordergrund stehen Schäden der Netzhaut, also der Zellschicht am Augenhintergrund, die die Lichtreize aufnimmt. Auch durch Kupferfremdkörper können schwere Veränderungen an Netzhaut und anderen Strukturen sowie heftige Augenentzündungen ausgelöst werden.
Zur Geschichte des Augenmagneten
Dennoch verbreitete sich der Glaube an die Saugkraft der Magneten und erreichte Europa über den Vorderen Orient: die Schule von Salerno empfahl gegen Abortus, einen Magneten um den Hals zu binden …
HILDEGARD von Bingen (1098-1179) glaubte, schmerzlindernde und entspannende Wirkungen von Magneten beobachtet zu haben.
PARACELSUS (1493/94-1543) empfahl den Magnetstein zur Lagekorrektur der dislozierten („verrückten“) Gebärmutter. Selbst die Konzeption war für ihn eine Folge der magnetischen Kraft, mit der die Gebärmutter den männlichen und weiblichen Samen an sich zog. Offenbar war er nicht der Einzige, der von der magnetischen Kraft beeindruckt war:
1534 steht in einer stark von arabischen Schriften beeinflußten, von fremder Hand überarbeiteten Spät(raub)auflage des 1497 verfaßten „Das buch der cirurgia: hantwirckung der wundarztny“ von Hieronymus BRUNSCHWYCK (1450-1512): Wer den Passus mit dem Magnetstein in das Brunschwyck’sche Buch eingefügt hatte ist nicht bekannt.
1624 wurde die erfolgreiche Entfernung eines magnetischen Fremdkörpers mittels Magnetstein dokumentiert: am 5. März dieses Jahres veranlaßte die aus Genf stammende Hebamme und Ehefrau des deutschen Mediziners Wilhelm FABRY (1560-1634) aus Hilden bei Köln, Marie COLINET (1560-1638), ihren Gatten, einen kleinen Eisensplitter mittels eines Magnetsteines aus den oberflächlichen Augenschichten eines Patienten zu entfernen (oder tat sie dies selber?), nachdem ihr Mann vorher erfolglos versucht hatte, den Splitter chirurgisch zu entfernen.
1842 zog Regierungs-Medizinalrath Dr. Nicolaus MEYER (1775-1855) in Minden mit Hilfe eines Riesen-Magneten mit 32 Pfund Tragkraft ein Stück Stahl aus der Sclera eines Schmiedes.
1859 versuchte der Brite James DIXON (1814-1896) einen im vorderen Teil des Glaskörpers liegenden Eisensplitter mittels Magneten zu wenden, um ihn besser fassen zu können. „Extraction of foreign body from the vitreous chamber. Ophthalmic Hosp. Rep. S.280).
1874 eröffnet der Ire William Alexander McKEOWN (1844-1904) in Belfast die Sclera, um einen Fremdkörper mittels Permanent-magnet zu extrahieren,
1874 untersuchte der in Breslau praktizierende jüdische Arzt Josef JACOBI (1840-1907) aus Elbing / Polen experimentell die Extraktion von Metallsplittern aus Tieraugen (Klin. Monatsbl. F. Augenheilk. Februar 1874).
1875 konstruierte der Berliner Augenarzt Paul Heinrich BRECHT (1838-1885) einen elektrischen Handmagneten.
1875 berichtete der aus Potsdam stammende jüdische Augenarzt (und Medizinhistoriker) Julius HIRSCHBERG (1843-1925) über Fremdkörper im Auge: sein Versuch von 1875, mittels eines handelsüblichen Permanent-Magnetes, den er 1901 als „Kinderspielzeugmagneten“ bezeichnete, einen Fremdkörper zu entfernen, mißlang.
1877 gelang Malcolm Macdonald McHARDY (1852-1913) am Royal Eye Hospital in London mittels eines elektrischen Handmagneten, die Verschiebung eines Fremdkörpers von der Linsenvorderfläche in die Vorderkammer sowie die anschließende Extraktion.
1879, genauer am 15. Oktober jenes Jahres, berichtete HIRSCHBERG der Berliner Medicinischen Gesellschaft über einen gelungenen Operationsfall: zur Extraktion eines ophthalmoskopisch sichtbaren Fremdkörpers im Glaskörperraum wurde die Sklera eröffnet und das schnabelförmige Ende eines Elektro-Magnetes eingeführt.
Hirschberg hatte nach einem vergeblichen Extraktionsversuch mit dem Gerät von Brecht 1875 begonnen, sich um die Konstruktion eines klinisch brauchbaren elektrischen Handmagneten zu bemühen, der nach jahrelanger tierexperimentieller Erprobung hergestellt wurde und weltweite Verbreitung fand. Zu jener Zeit waren die phänomenologischen Grundlagen des Magnetismus bereits ziemlich vollständig erforscht, so daß die wissenschaftlichen Voraussetzungen für die Entwicklung leistungsfähiger Magneten für die Augenheilkunde vorhanden waren.
1880: Thomas Rickett POOLEY (1841-1926)
PICHLER’s Handmagnet
Wer war dieser Alexius PICHLER (1867-1929)? „Als Augenarzt hat sich in Klagenfurt Herr Dr. Alexius Pichler niedergelassen. Doktor Pichler war durch zehn Jahre Assistent des kürzlich verstorbenen Professors der Augenheilkunde Wilhelm Czermak an der deutschen Universität in Prag“ (Freie Stimmen, 8. Juli 1908). „Vom Jahr 1916: Pichler Alexius, Dr., landsturmpflicht, Zivilarzt“ (Hof- und Staats-Handbuch der österreichisch-ungarischen Monarchie, Wien 1918). „Pichler (1920) verwendet Frauenhaar als besonders reizloses Nahtmaterial, welches 24 Stunden vor der Operation in Alkohol liegt und dann gekocht wird. Vor dem Roßhaar hat es den Vorzug der Geschmeidigkeit. Er empfiehlt für unsere Zwecke mittlere Stärken. Das Frauenhaar reißt am federnden Öhr, deswegen muß es wie eine gewöhnliche Nähnadel eingefädelt werden“ (Th. Axenfeld und A. Elschnig, Handbuch der gesamten Augenheilkunde, Berlin 1922 S.398) „In Klagenfurt starb der Augenarzt und ehemaliger Dozent der Prager Universität Dr. Alex Pichler, gebürtig aus Spittal a.d. Drau, wo sein Vater Bezirksarzt war, im 63. Lebensjahre“ (Grazer Tagblatt, 10. August 1929). Er war also ein gebürtiger Kärntner …
Krieg macht erfinderisch:
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