Pädiatrie


Angina diphtherica

Moulage Diphtherie

um 1945

 

Ein nichtdermatologisches Wachsmodell

Von der Haut konnte ein Gipsabdruck mehr oder weniger leicht genommen werden. Schwieriger war die Darstellung innerer Organe. Hier war die Beobachtungsgabe und die technische Begabung herausgefordert. Vorgestellt wird das Modell eines Kinderkopfes mit weit geöffnetem Mund: die Darstellung einer Diphterie. Der ursprüngliche Abguss war von einem real existierenden Kind genommen worden. Der Original-Abguss befindet sich vermutlich immer noch im Fundus des DHMD.

 

Exponat

Kopie des "zweiten Ausgusses". Hinten offene Moulage mit Befestigungsbändern. Eingesetzte Glasaugen. Das vorgestellte Modell trägt die n¨499b (Diphtherie im fortgeschrittenen Stadium). In der Sammlung der Uni Greifswald trägt eine ähnliche Moulage die Katalognummer B3 (DHMD n°499a Diphtherie im Anfangsstadium). Das Robert-Koch-Museum in Berlin besitzt eine Moulage aus der gleichen Serie "Angina lacunaris" (Datierung nach 1945, Originalabformung 1900-1912), Inventar-Nr. 920.

 


Mouleure der Manufaktur Dresden

Rudolf Pohl (1852-1926) war Schüler und Nachfolger Gustav Zeillers (1826-1904), der bereits in den 50er-Jahren des 19. Jahrhunderts ein Modellieratelier in Breslau betrieb, 1872 nach Dresden umzog und dort 1888 ein „Anthropologisches Museum für gesunde Anatomie und Völkerkunde“ eröffnete.

Fritz Kolbow (1873-1946),

Ella Lippmann (1882-1967). Von 1920 bis 1959 war sie leitende Mouleuse,

Elfriede Walther geb. Hecker (1919-)Günter Siemiatkowski (1944-).


Moulagen ebenso wie Modelle sind dreidimensionale Objekte. Die einzige Publikationsform, die den Moulagen wirklich gerecht wird, ist daher die Ausstellung. Aus einem weiteren Grund ist die Beschäftigung mit dem Phaenomen "WachsModell" jedem interessierten Besucher anzuraten: nur wer den Objekten persönlich gegenübertritt, kann die naturalistische Wirkung dieser mit höchster handwerklicher Präzision ausgearbeiteten Wachsabformungen würdigen. Im Gegensatz zu den idealisierenden und anonymen Darstellungen anatomischer Präparate stellt das Wachsmodell eine identifizierbare Person dar. Dieser Realismus erklärt, warum das kleine Kindergesicht bei allen Besuchern unweigerlich eine ausgesprochen empathische Reaktion auslöst. "Die Personifikation der Krankheit bettet sie in einen Kontext, aus dem sich der Betrachter nur schwer lösen kann, weil Menschen mit einem speziellen Wahrnehmungssystem ausgestattet sind, welches höchst sensitiv auf Gesichter anspricht" (Terry Landau, Von Angesicht zu Angesicht. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag 1993). 


Das Wachsmodell hatte einen hohen didaktischen Wert und förderte die Hinwendung der Studenten weg von der anonymen Leiche hin zum realen Patienten. Im Falle der Diphtherie war sein Einsatz im Lehrbetrieb insofern unabdingbar, als man ein diphtheriekrankes Kind unmöglich im Hörsaal vorführen konnte, ohne die Infektion des gesamten Auditoriums zu riskieren ... Noch lächelt das Kind, seine Augen beginnen zu verschwellen, sind leicht gerötet, vom Weinen, weil es schlecht Luft bekommt. "Moulagen zeigen nicht nur Haut, sie gehen auch unter die Haut" (Marion Maria Ruisinger, in: Sehpunkte 2/2008).

 

Abgesang

Bis in die 1950er Jahre wurden solche Wachsplastiken in Forschung und als Anschauungsmaterial an medizinischen Zentren in Europa verwendet. Dann traten die Buntfotographie, der Film, Video und Internet ihren Siegeszug an. Keines dieser Verfahren aber reicht auch nur annähernd an den Realismus der Wachspräparate heran.

 


Lit.:

Erik Riebe, Soziale und medizinhistorische Aspekte der MOULAGEN an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald unter besonderer Berücksichtigung des Faches Haut- und Geschlechts-krankheiten, Inauguraldissertation med. Fakultät Greifswald 2005).

Thomas Schnalke, Der Patient dahinter. Gedanken zum Umgang mit Moulagen im medizinhistorischen Museum. In: Jahrbuch der medizinhistorischen Sammlung der RUB, Bochum 1993, 69-71.