Laborgerätschaften


Uroskopie (5), Tragekorb mit Uringlas

um 1900 

 

 

Der  iranische Arzt Ismail GORGANI (1040–1136) empfahl, die gesamte, über 24 Stunden ausgeschiedene Urinmenge in einem sauberen Gefäß zu sammeln und ihn von Sonne und Wärmequellen fernzuhalten, wodurch sich die Farbe verändern könne.

 

Später ging man zur Stichprobenuntersuchung über. Bei der Harnschau wurde der Morgenurin ("beim Hahnenschrei") nach einer ausgeklügelten Technik in einem durchsichtigen Glasgefäß mit trichterförmiger Öffnung gesammelt, Matula oder Urinal, kurz Uringlas genannt. Die Matula mit der Urinprobe wurde vor Sonneneinstrahlung und anderen Wärmequellen geschützt in einem Korb dem medizinischen Harn(be)schauer (der Vorläufer des Urologen) gebracht, der die Urinproben zweimal - "frisch" sowie "zwei Stunden alt" - begutachtete. Nach den Vorschriften Galens prüfte man das Urin hinsichtlich Dichte (Konsistenz), Farbe, Geruch, Geschmack und Sediment. 20 verschiedene Harnfarben (von kristallklar über hellgelb, kamelhaarweiß, himbeerrot, brombeerrot, fahlgrün, tiefgrün bis schwarz) wurden dabei unterschieden (im "Fasciculus Medicinae" des Johannes de Ketham [= Johannes Kirchheimer] von 1491 beschrieben). Die Konsistenz teilte man in dünn, mittelmäßig oder dickflüssig ein. Des Weiteren wurde der Urin auf Sediment (Beimengungen, latein. contenta = Inhaltsstoffe) untersucht, zu denen Bläschenbildung, Fetttröpfchen und sand-, blatt-, kleieartige und linsenförmige, unterschiedlich gefärbte Niederschläge, trübende Niederschläge und andere Konkremente gehörten. Der Geschmack des Urins wies unter anderem auf ein Vorliegen der Zuckerkrankheit hin.

 

Noch um 1900 distanzierte sich die Laienpresse nicht wirklich von der Methode, hielt sie allerdings für ungenügend und forderte eine zusätzliche chemische Analyse:
"Das Verhalten des Harns in Krankheiten ist für den Arzt ein wichtiges Hilfsmittel zur Erkennung und Beurteilung zahlreicher krankhafter Zustände und Vorgänge im Körper. Nicht nur bei Krankheiten der Harnorgane selbst kann man aus der Beschaffenheit des Harns wertvolle Aufschlüsse gewinnen; bei den innigen Beziehungen, in denen der H. zum Stoffwechsel steht, wird man vielfach aus den Abweichungen des Harns von der Norm auf Störungen in den chemischen Vorgängen des Gesamtorganismus zurückschließen können. Von alters her haben sich die Ärzte wie Laien gewöhnt, bei jeder Krankheit den H. des Patienten zu betrachten. Allein diese Uroskopie oder Betrachtung des Harns mit dem bloßen Auge reicht nicht aus. Es wird in der Regel die chemische und in vielen Fällen auch die mikroskopische Untersuchung des Harns vorgenommen werden müssen, wenn man gründlichen Aufschluß über die Natur des vorliegenden Leidens erlangen will" (Meyers Großes Konversations-Lexikon; 6. Auflage 1905–1909).

 

Vorgestellt wird ein nicht datierter Urinbehälter mit seinem Körbchen aus geflochtener Weide. 

Pokal: Höhe 28 cm, Durchmesser 12.5 cm, Fassungsvermögen 2.5 Liter. Graduierung. Glas markiert: "Tissier à Paris". Das Haus TISSIER wurde 1761 gegründet, Sitz der Fa. 204, Faubourg Saint Denis PARIS - "commerce et fabrication de verrerie, cristaux, porcelaine et faïence"; stellte auch Babyflaschen her; Katalog von 1895 (siehe bei ludogrid). Medaillen bei den Weltausstellungen in PARIS 1878 und1889.

Korb: Höhe mit Henkel 48 cm, Durchmesser 20.5 cm.
Herkunft des Objektes: Bréchamps / Eure et Loir

 

Wir glauben, dass es sich um einen "Urinmesszylinder, graduiert, zur Bestimmung der 24stündigen Harnmenge" handelt, so wie er S. 17 im "Medicinischen Waarenkatalog, Berlin" von ~1910 abgebildet ist: die Bestandteile der einstigen Uroskopie (Matula und Korb) leben weiter, unter neuem Gewand ... Heutzutage werden diese "Urin-Sammelflaschen" in Plastik angeboten mit einem Fassungsvermögen von 2.000 - 2.500 - 3.000 ml. Von der einstigen Uroskopie mit der Beurteilung von "Farbe, Geschmack, Bodensatz und Beschaffenheit" ist nur die Bestimmung der "Menge" geblieben. Die weitere Beurteilung erfolgt im chemischen Labor.

 

Was aber besagt die Menge des 24Stundenurins? Nichts - sie dient nur zum Hochrechnen der über 24 Stunden ausgeschiedenen chemischen Stoffe (Zucker, Cortisol, Quecksilber, Salze etc). Nur in den seltenen Fäller von sog. "Hydrurie" wird einfach überschüssiges Wasser ausgeschieden, ohne absonderliche Inhaltsstoffe (siehe Urometer) !