Pharmazie



Herbarium (2)

Heilpflanzenabzeichen als "SpendenQuittung" für das WHW 

In Anlehnung an die Herbarien, die angehende Apotheker in den Jahren 1864 bis 1980 anlegen mussten, wollen wir hier eine Sammlung von synthetischen Heilpflanzen anführen, die in den Kriegsjahren in Luxemburg (und anderswo) "in Ehren" standen.

Der verlorene I. Weltkrieg, die Verpflichtungen aufgrund des Versailler Vertrages, die Inflation 1922-23 brachten Notstände allergrössten Ausmasses mit sich, so dass neben der staatlichen Wohlfahrt alle möglichen Vereine und kirchlichen Institutionen zwie "Innere Mission, "Caritasverband" und "Deutsches Rotes Kreuz" versuchten, durch Sammlungen Mittel hereinzubekommen, um Hilfe in dringlichen Fällen leisten zu können.
Die Weltwirtschaftskrise anfangs der Dreissiger Jahre liess die Aufgaben der Wohlfahrtsverbände in schier unerfüllbare Grössenordnungen ansteigen. Ende des Jahres 1931 tauchte zum ersten Mal das Wort "Winterhilfswerk" auf. Unter dem Leitsatz "Wir wollen helfen" wurde eine Sammelaktion gestartet, an der sich mit Unterstützung des Reiches alle Wohlfahrtsverbände beteiligten, und die für den Winter 1931/32 97 Millionen, für den Winter 1932/33 91 Millionen Reichsmark einbrachte.
Wenige Monate nach der Machtergreifung durch Adolf Hitler wurde im "Reichsministerium für Propaganda und Volksaufklärung" am 13.9.1933 die Bildung des WHW durch Reichsminister Dr. Josef Goebbels vorgenommen, die Durchführung wurde der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) übertragen, die schon am 18.4.1932 als "eingetragener Verein" gegründet worden war.

Das Winterhilfswerk (WHW), auch Winterhilfe genannt, wurde im September 1933 unter dem Dach der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) gegründet. Das Winterhilfswerk ist keine Erfindung der Machthaber des Dritten Reiches, wohl aber ist es von Ihnen in zuvor nie gekannte Dimensionen ausgebaut worden. Am 21.9.1933 wurde Erich HILGENFELD (1897-1945) zum Reichsbeauftragten für das Winterhilfswerk ernannt. Mit diesem Tag begann der Ausbau des WHW zu einer Hilsorganisation, die man seinerzeit als "die grösste soziale Einrichtung, die es auf der Welt gibt" bezeichnete. Auch die "Innere Mission", "Caritas" und "DRK" wurden in einer Arbeitsgemeinschaft der NSV angegliedert, so dass allmählich die gesamte Wohlfahrtspflege im Sinne der Nationalsozialisten umgestellt wurde.

Sammeln von Heilpflanzen
Ende 1939 erfolgten zum ersten Mal in Deutschland einheitlich geregelten Heilpflanzensammlungen. Schulkinder im Alter von 10 bis 14 Jahren sammelten auf der Flur (unter Aufsicht geschulter Lehrer, Hitlerjugend, Bund Deutscher Mädel, SA und Apotheker). Auch in Luxemburg wurde das Heilkräutersammeln eingeführt, zu einer nationalen Pflicht hochstilisiert und - als Schulfach eingeführt:
"Aus der Gemeinschaft und dem gemeinschaftlichen Erlebnis gelte es, stets neue Kräfte für die Bewältigung der Pflichten zu schöpfen. Rückblickend auf die Leistungen des BdM auf sportlichem, kulturellem und hauswirtschaftlichem Gebiet erwähnte die Rednerin insbesondere die Durchführung von Tee- und Heilkräutersammlungen, die Teilnahme der Mädel des Gaues, an den einzelnen Kreistagen, die Gestaltung von Lazarettveranstaltungen für verwundete Soldaten, die Arbeiten auf dem Gebiet der hauswirtschaftlichen Ertüchtigung, die Pflege der Musik sowie die körperliche Ertüchtigung im Rahmen des BdMWerkes „Glaube und Schönheit" (Die Arbeit der HJ im Banne Luxemburg, Führer- und Führerinnentagung mit Obergebietsführer Karbach im Volkshaus, in: Luxemburger Wort vom 30.11.1942).

"Grevenmacher. Heilkräuter-Sammlung. Die Heilkräutersammlungen werden während des Schulunterrichtes der Hauptschulen durchgeführt. Die Turnstunden werden ebenfalls in Anspruch genommen. Unter Leitung der Turnlehrer- und Turnlehrerinnen werden bei Ausmärschen in Wald und Flur die Heilkräuter gesammelt" (Escher Tageblatt vom 25.5.1944). Gelagert wurden die Kräuter zunächst auf den Dachböden der Schulen. Als die Brandgefahr stieg (Bombardierung), fungierten Apothekenlagerräume ab 1943 als Trocknungs- und Bezirksammelstellen.

Sammeln von HeilpflanzenAbzeichen
Um die Nützlichkeit und den Wert der »Deutschen Heilpflanze« hervorzuheben, gestaltete die »Reichsarbeitsgemeinschaft für Heilpflanzenkunde und Heilpflanzenbeschaffung« für die jährlich in den Wintermonaten stattfindenden Straßensammlungen des Winterhilfswerkes Arzneipflanzenabzeichen. Wer mindestens 20 Pfennig spendierte, bekam eine solches Abzeichen als "Quittung".
Als Luxemburg am 10. Mai 1940 besetzt und am 24. Oktober "rechtens" an das Reich annektiert wurde, führten die neuen Machthaber auch ihr Wohltätigkeissystem zwangsweise ein.
Unzählige freiwillige Helfer schwärmten aus: im Frühjahr 1941 patroullierten SA, SS und die andern Hilfsformationen mit ihren roten Sammelbüchsen auf den Bürgersteigen, sammelten eifrig Geld für das Kriegswinterhilfswerk, und belohnten die "edlen Spender" mit "lustigen" Abzeichen. Mit der Serie "Köpfe berühmter Deutscher Männer" in Glas (6. Reichsstrassensammlung vom 1. und 2. März 1941) machte das einheimische Publikum erstmals mit dem KWHW Bekanntschaft.
Die Reichsstrassensammlung des 2. KWHW vom 29. und 30. März 1941, durchgeführt von der DAF (Deutsche ArbeitsFront), stand unter dem Motto "Heilpflanzen". Die Serie von Abzeichen umfassten 20 Wachspapierblumen mit anhängendem Textkärtchen:
Birke, Brombeere, Faulbaum, Feldmohn, Feldstiefmütterchen, Fingerhut, Gänseblümchen, Hagebutte, Heidelbeere, Huflattich, Kamille, Löwenzahn, Preisselbeere, Rainfarn, Schafgarbe, Schöllkraut, Spitzwegerich, Taubnessel, Walderdbeere und Wegwarte.
Gesamtauflage dieser Abzeichen knapp 50 Millionen Stück.

Im folgenden Jahr wiederholte sich das Szenario: die Reichsstrassensammlung des 3. KWHW vom 28. und 29. März 1942, durchgeführt von der DAF, stand erneut unter dem Motto der Heilpflanzen. Vergeben wurden wiederum 20 verschiedene Wachspapierblumen mit anhängendem Kärtchen:
Augentrost, Breitwegerich, Ehrenpreis, Gänsefingerkraut, Gauchheil, Ginster, Gundermann, Hauhechel, Heidekraut, Himbeere, Johanniskraut, Lungenkraut, Mistel, Odermennig, Rotklee, Schlehenblüte, Schlehenfrucht, Tausendgüldenkraut, Tollkirsche und Wacholder.
Hergestellt wurden über 53 Millionen Exemplare dieser Blümchen, teils in Heimarbeit, teils in den Betrieben der sächsischen und sudetendeutschen Kunstblumenindustrie.

Vom 27 bis 28.3.1943 wurden "Naturgeschützte Pflanzen" (10 Abzeichen) angeboten, unter denen sich weitere Heilpflanzen verbargen.
Adonisröschen, Enzian, gelbe Narzisse, Leberblümchen , Märzenbecher, Seidelbast, Trollblume, Türkenbund und Weisse Seerose ... Auflage 55 Millionen Abzeichen ...

Mag die von der NSDAP (Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschland) initiierte Sammelaktion auch ursprünglich einem guten Zwecke gedient haben, sie war vom Machthaber pervertiert worden zu einem politischen Druckmittel: wehe dem, der nicht spenden wollte - er galt fürderhin als verdächtig! Die Luxemburger jedenfalls empfanden die Sammler des WHW mit ihren roten Büchsen als ausgesprochene Plagegeister und Gesinnungsschnüffler !

Link
www.aponet.de/apotheke/arbeiten/kraeuter/index.html
www.lernen-mit-webquests.de/wq/wq66/ergebnis/herb_digi/jena_ex.htm

Lit.
Jürgen Dahl (1929-2001), Mein geliebtes Heu, Notizen zum Herbarium, 76 Seiten mit 33 farbigen Abbildungen. 2000.