Pharmazie


Oblatenkapsel (4) Kalmine

lithographierte Blechdose, 14.0x9.0x2.1 cm 

Als Beispiel für echte medizinische Oblaten (frz. "cachets") zeigen wir eine Blechdose "Kalmine", ein Schmerzmittel der Fa. Métadier, das es in 1er, 6er, 12er, 24er und 30er Packungen gab. Echte Oblaten aus "pain-azyme" – eine Darreichungsform, die selten geworden ist, seit es die Möglichkeit des maschinellen Kapsulierens gibt. Eine der letzten echten Oblaten war … Kalmine - bevor das Produkt 1993 aus dem Handel gezogen wurde. Das aber hing nicht mit der Form, sondern mit dem Inhalt zusammen …

Ein Wort zu den Inhaltsstoffen des Kalmine.

  • Dimethylamino-antipyrin ** 0,25
  • Para-aceto-phénétidine * 0,10
  • Cofféine chimiquement pure 0,03
  • Guarana Paulinia **** 0,01
  • Quiquina*** titré pulvérisé 0,05
  • Carbonate de calcium pulvérisé ° 0,20

    * Para-aceto-phenetidin alias Phenidin alias Phenacetin ist nephrotoxisch. Bei jahrelanger Einnahme kommt es zur sog. Phenacetin-Niere, einer chronischen tubulo-interstitiellen Nephropathie. Sobald dies feststand, wurde Phenacetin Ende 1983 in der Schweiz vom Markt genommen, ebenso wie in Deutschland, wo es 1986 von der Bildfläche verschwand (Scholz-Schwabe, Angewandte Pharmakologie, Springer 2005).
    ** Weniger aggressiv war die Hauptkomponente des Kalmine, das Dimethylamino-antipyrin. Wie der Name Antipyrin sagt, war der Stoff ein Fiebersenker. Trotz einiger — durch die Auslösung von Agranulozytosen bedingter — Kritik blieb es jahrelang ein viel verwendetes Arzneimittel. Die Muttersubstanz ist uralt: als Ludwig Knorr (1859-1921) 1883 Phenylhydrazin mit Acetessigester kondensierte, erhielt er ein Produkt, das eine geringe antipyretische Wirksamkeit aufwies. Durch Methylierung desselben gewann er ein Derivat von ausgezeichneter antipyretischer Wirksamkeit, das zudem gut wasserlöslich war. Dieses Produkt trat unter dem Namen Antipyrin bald seinen raschen Siegeszug in der Therapie an. Schon 1883 begann die Fa. Hoechst mit der Kommerzialisierung des Antipyrins – zugleich der Übergang von Hoechst von der reinen Farbstoff- in die Pharmawelt. Es besitzt gute antipyretische und antineuralgische Eigenschaften. Es treten jedoch bei seiner Anwendung häufig Nebenerscheinungen auf. So kann es schon in therapeutischen Dosen bei manchen Menschen Hautausschläge, bei anderen Magendarmbeschwerden erzeugen, ja, in manchen Fällen sogar Herzanfälle und Kreislauf-zusammenbrüche. Diese Nebeneffekte erklären die Suche nach einem weniger problematischen Derivat. Ein besonderer Erfolg war einem Abkömmling beschieden, dem 1892 von Friedrich Stolz (1860-1936) entwickelten Dimethylamino-antipyrin, der seither in allen Podex'en "zu Hause" ist in Form von Pyramidon-Zäpfchen.
    *** Chinarine ist fiebersenkend.
    **** Guarana soll leicht fiebersenkend wirken und bei körperlicher Schwäche das Durchhaltevermögen stärken.
    ° Kalziumkarbonat ist Füllstoff und verbessert vermutlich als Antazidum die Magenverträglichkeit der vorgenannten Stoffe.

    Lit.: Ruedi Ursprung, Synthesen in der Pyrazoionreihe, Promotionsarbeit Hochschule Zürich 1948.

    Zur Herstellerfirma
    Einer alten Familientradition folgend studierte Paul Métadier (1872-1956) Pharmazie in Bordeaux und eröffnete eine Apotheke iǹ Bourges. 1905, il erbaute er in der rue Nationale in Tours - gegenüber dem Geburtshaus von Balzac - ein Haus und eröffnet hier seine «Pharmacie principale»: hinter ihrer Jugendstilfassade wird kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges das Konzept für das "Kalmine" entstehen … Die Apotheke wurde 1940 durch Bomben zerstört. Métadier wurde nicht zuletzt Dank Kalmine steinreich und konnte Schloss (manoir) von Saché in Royan erwerben, das Refugium des Dichters Balzac …