Pharmazie


Theriak

El (ectuarium) Theriacum 

Gegenüber vom Haupteingang jeder grösseren Apotheke thronte früher ein überdimensioniert grosser "vase d'apparat" mit einer reich verzierten Vorderfläche (nur sie konnte der Kunde sehen), kunstvoll verzweigten Henkeln: der "vase d'apparat hatte rein dekorative Funktion - meist war er in der Einzahl um ihn noch besser zur Geltung kommen zu lassen. In seinem "Schatten" standen die wirklich benutzten Gefässe wie Albarello, Chevrette und "pot-canon" ...

Das Theriakgefäss
Häufig enthielt dieses Prunkgefäss auch das prunkvollste aller Medikamente, den "Alleskönner" Theriak. Da dieses Medikament aus den Elementen der drei Reiche (mineralisches, pflanzliches und tierisches) zusammengestellt war, findet man auf Vasen des 19. Jahrhunderts Abbildungen der drei Reiche wieder - oft befand sich in der Bildmitte eine auf steinigem Boden (mineral) wachsende Palme (vegetal), um die sich eine Schlange (animal) wand ... In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Motive auf den Vasen schlichter, oft nur noch floral, ohne wirklichen Bezug zu Theriak.

Zur Zusammensetzung des Theriaks
Theriak wurde ursprünglich vom Hausarzt von Kaiser Nero erfunden, um seinen Herrn und Brötchengeber vor der Vergiftung durch seine zahlreichen Feinde zu bewahren. Im Mittelalter, besonders seit der grossen Pestepidemie von 1348, bekam das inzwischen viel komplexere Präparat den Ruf eines Allheil- und Wundermittels (Panacea = allmächtiges Heilmittel) und sollte angeblich sogar gegen die Syphilis und Pest helfen. Damals bestand das Gemisch aus bis zu 300 verschiedenen, oft wechselnden Zutaten, vor allem aber aus Opium, Engelwurz (Angelica sylvestris), echtem Baldrian (Valeriana officinalis) und Möhrensamen (Daucus carota).

1546 erschien der Theriak als offizielles Arzneimittel. Diese als „Himmlischer Theriak“ („Theriaca coelestis“) bezeichnete Arznei galt als das wertvollste aller zusammengesetzten Heilmittel und wurde grammweise verordnet. In den medizinischen und pharmakologischen Lehrbüchern fanden sich die unterschiedlichsten Rezepturen: im 17. Jh. wies Theriak durchweg 184 Bestandteile auf - Schlangen- oder Vipernfleisch war eine der wichtigsten Zutaten. Die "Pharmacopoea germanica" von 1882, die erste gesamtdeutsche Vorschrift für die Arzneibereitung, gibt zum Beispiel als Rezept an: 1 Teil Opium, 3 Teile spanischen Wein, 6 Teile Angelikawurzel, 4 Teile Schlangenwurzel, 2 Teile Baldrianwurzel, 2 Teile Meerzwiebel, 2 Teile Zitwerwurzel, 9 Teile Zimt, 1 Teil Kardamom, 1 Teil Myrrhe, 1 Teil Essigvitriol und 72 Teile Honig. Um Betrug zu vermeiden, war die Zusammensetzung genau vorgeschrieben. Dennoch wurde viel Scharlatanerie betrieben, um diese Wunderarznei anzupreisen, vor allem in Zeiten der Verbreitung von Pest und Cholera. Später ersetzte man die Bestandteile tierischen Ursprungs durch pflanzliche Substanzen. Darunter befanden sich Pflanzen wie Rosmarin, Baldrian, Sauerampfer, Lavendel, Engelwurz und Weinraute.

Neben dem "grossen" Theriak gab es seit römischen Zeiten eine "kleine" Variante, das "theriacum diathessaron", das aus nur 4 Pflanzen hergestellt wurde. Insbesondere enthielt dieses "Theriak des kleinen Mannes" kein Opium.

Das "Electuarium"
Unter Electuarium versteht der Apotheker eine Art Marmelade, genauer gesagt eine Latwerge d.h.. ein stark eingekochtes Mus. Das Elektuarium ist eine dickflüssige Arznei aus Pulvern, verdicktem Obstsaft, Syrup, Honig etc. zubereitet.

Zur Zubereitung und Vertrieb des Theriaks
Die Zubereitung des "Wundermittels" unterlag ganz speziellen Ritualen. So war es ab 1667 Einzelpersonen untersagt ein Theriak zu brauen: es musste vor einem Gremium aus Ärzten und Apothekern in aller Öffentlichkeit zubereitet werden.
- einer der wichtigstens Handelsplätze für Theriak waren die italienischen Handelszentren, insbesondere Venedig. Wegen der wirtschaftlichen Beziehungen zu Asien war besonders das Opium hier in reiner Form erhältlich. Auch Bologna war berühmt für die Qualität seines Theriak.
- in Deutschland war Nürnberg das Zentrum der Theriak-Herstellung (Kugel-Apoyheke 1758).
- in Frankreich war die Region um Montpellier Zentrum des Theriakhandels. Noch heute gibt es hier eine "rue de la Thériaque". Der Jahrmarkt von Beaucaire im Departement du Gard entwickelte sich zu einem der bedeutendsten Umschlagplätze der "thériaque de Montpellier". Auch in Paris, Lyon, Toulouse, Rouen, Strassburg, Besançon und Le Mans wurde Theriak öffentlich zubereitet.
- in den Niederlanden war Amsterdam Zentrum der Theriakzubereitung,
- In Lüttich wurde Theriak noch 1774 öffentlich zubereitet. Näher bei uns bereiteten die Zisterziensermönche der Abtei Orval ihren hauseigenen Theriak zu...

Abgesang
Im luxemburgischen Memorial von 1860 findet man folgende "Arzneitaxe": Electuarium Theriacum Uncia 42 ct.
Heutzutage muss man "Schwedenbitter" kaufen, um sich in der Illusion zu wähnen, Theriak zu trinken - in seiner einstigen, Form gibt es kein Theriak mehr im Pharmahandel. Eine Apotheke in Rom und die Fa. Caelo, bieten beide ein "sogenanntes" Theriakpulver aus eigener Fabrikation an.
Der Name übt eine gewisse Faszination aus und es nimmt nicht Wunder, dass man ihn in modernen Firmennamen wiederfindet. In Frankreich nennt sich eine für die Ärzte bestimmte Datenbank über Wirkungen und Nebenwirkungen aller im Hexagon zugelassenen Medikamente "Thériaque". In Luxemburg hat sich 2006 eine Firma konstituiert, die "LA THERIAQUE LUXEMBOURGEOISE S.A." mit Sitz in Sanem, die mit Nahrungs- und diätetischen Mitteln handelt (Memorial 2006/C Seite 4267).

Gegen die bis zu 90 cm hohen "vases d'apparat" resp. "vases de montre", einer Spezialität der Porzellanmanufakturen von Rouen und Nevers, sieht die hier vorgestellte 27 cm hohe Vase echt mickrig aus. Natürlich befand sich in unserem Gefäss der 1946 gegründeten Fa. HERR-Keramik in Bogen/ Bayern (das von 1946 bis 54 benutzte handgemalte Firmenlogo stellt den Bogenberg mit Kirche dar, darunter den Donaustrom. Die Buchstaben AH stehen für: Anton Herr) nie auch nur ein Gramm Theriak.