Pharmazie


Blutreinigungspillen

Blureinigungspillen
 

 

Die Apotheker des Mittelalters produzierten für den eigenen Laden. Ab dem 16. Jahrhundert gingen einige von ihnen dazu über, ihre Produkte zu exportieren. Krämer, fahrende Händler boten die Medikamente feil – landaus, landein, an der Haustüre und auf Dorfmärkten.

 

Der berühmtberüchtigte Andreas EISENBARTH (1663-1727) betrieb in einer umgebauten Brauerei in Magdeburg die erste Arzneimittelfabrik Deutschlands. Zwischen 1686 und 1715 wurde er von zahlreichen deutschen Landesherren mit Privilegien ausgestattet, die es ihm ermöglichten in einem zusammenhängenden Gebiet von ungeheurem Ausmaß tätig zu sein, ohne die üblichen Zölle für seine mitgeführten Arzneimittel zahlen zu müssen. Diese Privilegien erleichterten auch seinen zahnreichen Mitarbeitern den Absatz der an die 20 Medikamente seiner Fabrikation: ein Abführmittel, ein Pulver gegen Schwindel, Zahn- und Kopfschmerzen, ein „Balsam“ zur Stärkung von Gedächtnis, Herz und Magen, eine „Universal=Medicin“ gegen Unfruchtbarkeit. Heilmittel gegen Syphilis und Gonorrhoe usw. (Es ist belegt, dass Eisenbarth, dessen Geburtstag am 27. März gefeiert wird, im Jahre 1696, nach Aufenthalten in Polen, Holland und Frankreich auch Tirol und Italien besuchte und er in diesem Jahr in Innsbruck weilte).

 

Auch die 1787 erfundenen Blutreinigungspillen von Carl Friedrich Wilhelm MÖRICKE d.Ä. (1764-1802) aus Neuenstadt am Kocher (Baden-Württemberg) waren ein nachweislich sehr wirksames Abführmittel, bestehend aus mehreren Komponenten: "Man digeriert 6 Drachmen Coloquinten mit 12 Unzen schwachem Weingeist 14 Tage lang, setzt zur filtrierten Tinctur 12 Drachmen Leberaloe und 4 Drachmen Scammonium, verdunstet zum Extract, setzt eine Drachme Cardamom hinzu, setzt zu 5 Theilen der Masse 1 Theil Calomel und bildet 2 Gran schwere Pillen, so dass jede Pille ½ Gran Calomel enthält" (Referat in: Vierteljahresschrift für prakt. Pharm. 1(1852), 145).

 

Coloquinten (fructus coloquinthidis), Scammonium (Resina scammoniae) gelten noch heute als drastische Abführmittel, Aloe hepatica ist eine komplizierte Zubereitungsform von Aloe, ebenfalls abführend, Kalomel (Quecksilberchlorid) ist ebenfalls ein, wenn auch hochgiftiges, Laxans. Cardamon diente lediglich als Geschmackskorrigens. Nicht das Blut wurde gereinigt, sondern der Darm! Das Mittel war hochtoxisch und wurde 1812 aus dem Handel gezogen, bzw. der Verkauf reichsweit untersagt.

 

Exponat

Vorgestellt werden 2 zwölf mm hohe, 20 mm breite ovale Spanschachteln, von denen jede einst 12 Pillen (von den Arbeitern, die sie aus der Pillenmasse herstellen mussten, liebevoll "Böppele" genannt) à einem halben Quint enthielten – zum Preis von 12 Kreuzern (entspricht dem heutigen Wert von 6 DM = 3 Euro). In den Handel kamen die Schachteln in Stangen von 8 Schachteln resp. in Pakten von einem achtel Pfund.

 

Das Interesse des Exponates liegt also nicht im Inhalt der Schachtel, sondern vielmehr in der Aufschrift "Kais. privil."! Privilegien konnten Personen erteilen, die Rechte oder Besitz an Untertanen frei weitergeben durften – Kaiser, Könige, Päpste. Die Erteilung eines Monopols - z.B. das Recht, Münzen zu prägen oder ein Wappen zu führen, die Befreiung von Zinsen und Diensten, die Verleihung von Gerichtsbarkeiten, die Erteilung des Stadtrechts oder die Gründung von Universitäten, gehörten zu diesen Privilegien ebenso wie der Titel „Privilegierter Lieferant des Hofes“. Die behördliche Gewähr eines Privilegs sprich eines Monopols war in denjenigen Betrieben von vitaler Bedeutung, die viel Geld in die Produktionsanlage investiert hatten:

- um 1500 hatte die damalige „Zeller Brauerei“ als einzige das kaiserliche Privileg, ein eigenes, hochgrädiges  Festbier zu brauen,

- Buchdruckereien stellten einen Antrag auf ein Privileg, um sich (für eine gewisse Zeit) vor Raubdrucken zu schützen,

- in Wien war der Ausschank von Kaffee ein "kaiserliches Privileg" von Johannes Deodat. Auf den 17. Januar 1685 datiert das Privileg für seinen Kaffeeausschank und das Recht, "solches orientalisches Getränk auf 20 Jahr allein zu verkauffen, und sich dessen niemandt, er seye, wher er wolle, bey Straff der confiscatio und 5 Markh Geldtes anmassen sollte",

- in Frankfurt a.M. erhielten 1691 fünf Apotheken ein kaiserliches Privileg, welches besagte, dass es allein  erlaubt sei, Medikamente zu verkaufen. Dieser Schutz war den Apotheken viel wert. In den beiden Privilegien von 1706 und 1713 wird auf das Jahr 1690 Bezug genommen, in dem sie dafür 5000 Reichstaler an den Rat zahlten, dass für weitere vierzig Jahre keine weitere Apotheke errichtet werde,

- der Augsburger Arzt Johann Georg Kiesow (1718-1786) erhielt 1760 ein kaiserliches Privileg für den Verkauf seiner Lebensessenz, einer Art von "Elix. ad long. vitam",

- der Weilheimer Apotheker und Arzt Michael Klieber (gest. 1793) erhielt 1776 ein kaiserliches Privileg für seine Pillen.

Eine "win-win-Situation": dem Privileggeber füllten die Privilegien die Kassen, dem Empfänger gaben sie ein wenig Geschäftssicherheit.

 

Da Möricke keinerlei Kontrolle über den Handel mit "seinem" Produkte hatte, erbat auch er sich ein Privileg beim Wiener Hof. Teuer bezahlt verlieh ihm das auf den 29. Januar 1790 datierte Privileg das Monopol, während 10 Jahren als Einziger sein Präparat in den Handel zu bringen. Mit einem Patent im heutigen Sinne hat das Privileg wenig zu tun. Zum Inhalt der Pillen sagt das kaiserliche Privileg nämlich nichts! Streng genommen sollte niemand wissen, was in dem Geheimmittel steckte – Mörike bezog die zur Produktion notwendigen Ingredienzien aus weit entlegenen Zulieferbetrieben um zu verhindern, dass jemand die Zusammensetzung erraten konnte. Testen konnte man die Pillen nur, indem man sie schluckte! Ein Produkt patentieren zu lassen aber bedeutet, den Inhalt schützen zu lassen! Auch der Titel "Blutreinigungspillen" war nicht geschützt. Konkurrierende Präparate blieben jahrzehntelang in Umlauf:

- Muskauer Blutreinigungspillen von Apotheker Maas,

- Blutreinigungspillen nach Burkespahn,

- Blutreinigungspillen der hl. Elisabeth von Apotheker Neustein in Wien,

- "Deutsche Blutreinigungspillen" resp. "pilulae haematocatharticae" von Apotheker Rottwitt in Ziegenrück,

- Blutreinigungspillen von Dr. Matthias Lang.

 

Genau genommen waren folglich nur die Spanschächtelchen und ihr Etikett gesetzlich geschützt!

 

Lit.: Mörike, Klaus D. und Wankmüller, Armin: Die Apothekerfamilie Mörike, in: Beiträge zur Württembergischen Apothekengeschichte, Bd. 11, 1975-1977 S. 65-96.