Pharmazie


Antipyrin (2)

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1893 führte Medizinalrath Dr. Martin OVERLACH (1860-1912) "dirigierender Arzt am fürstlichen Landeskrankenhaus in Greiz i. Thüringen" (Pester Lloyd, 29. Aug. 1894) das Antipyrinum coffeino-citricum unter dem Handelsnamen Migräninin die Therapie der Migräne, der Influenza und der Folgezustände nach alkoholischen Exzessen ein, ein mechanisches Gemenge aus 90.9 Teilen Antipyrin, 0.6 Teilen Zitronensäure und Koffein. Hergestellt wurde es von den Farbwerken vorm. Meister Lucius und Brüning in Höchst a.M.

 

Exponat

Dr. OVERLACH'S Migränin-Tabletten der Fa. BAYER, 250g-Packung

1940 – 1950

Herkunft: die Schachtel diente bis vor Kurzem in der St. Michaels-Apotheke in Augsburg- zum Aufbewahren des Pastillenstechers ...

 

Zwei Museen stellen runde Pappschachteln mit diesen Tabletten aus:

- das "TECHNOSEUM Landesmuseum für Technik und Arbeit" in Mannheim

https://www.omnia.ie/index.php?navigation_function=2&navigation_item=%2F249%2Fitem_CYUEVSNKLN5XDAQ7LILDEZKQE7X6I7FF&repid=1

- das "Stadtgeschichtliche Museum" in Leipzig

https://www.omnia.ie/index.php?navigation_function=2&navigation_item=%2F08547%2Fsgml_eu_php_obj_z0061128&repid=1

"Mittheilungen aus dem Publicum. Ueber Migränin. (Dr. Overlach.)

Von Ober-Stabsarzt a.D. Dr. Bauernstein (Görlitz).

Das Migränin wird in Hoechst a.M. in den Farbwerken der Herren Meister, Lucius und Brüning allein nach Dr. Overlach's Vorschrift dargestellt und ist eine sehr glückliche Verbindung von Antipyrin und citronensaurem Coffein, die nicht allein gegen Migräne, sondern auch gegen viele andere Arten von Kopfschmerzen aus anderen Ursachen heilend wirkt, und zwar ist die Wirkung dieses Mittels mit einer ans Wunderbare grenzenden Sicherheit dem Kranken in Aussicht zu stellen. In diesem Umstande liegt ein nicht zu unterschätzender Vortheil dieses Mittels für den Arzt, denn die große Zuversicht, mit dem er dem Kranken baldige Erlösung von den Qualen der Migräne und anderer Schmerzen versprechen kann, wirkt ungemein beruhigend und die Wirkung des Mittels fördernd, das mir namentlich auch bei Complicationen der Migräne, wie ausgestrahlte Gesichts-, Nacken- und Armschmerzen, recht gute Dienste geleistet hat. Auch bei Influenza hat es die heftigen Kopfschmerzen gelindert und sichtlich den ganzen Krankheitsverlauf günstig beeinflußt. In einem Falle beginnender Influenza mit hohem Fieber und sehr heftigen Kopfschmerzen genügte eine abendliche Dosis Migränin, um den ganzen Anfall zu coupiren. Da ich selbst seit den Kriegen von 1866 und 1870/71 an einer Cervical-Neuralgie, oft in Verbindung mit Migräne, leide, so habe ich das Migränin zuvörderst an mir selbst geprüft und kann dem Entdecker und Darsteller desselben nicht genug dafür danken und mit mir eine Anzahl Kranker, denen ich es gegeben habe. Was die Art der Wirkung des Migränin betrifft, so tritt nach der von Dr. Overlach bestimmt angerathenen Dosis von Migränin 1,1 in einigen Minuten ein sozusagen ahnendes Empfinden eines beginnenden Nachlasses der Schmerzen ein, sodann das Gefühl, daß der Höhepunkt der Schmerzen überschritten und ein schwacher Abfall derselben nach und nach wahrnehmbar sei. In den nächsten zwölf bis fünfzehn Minuten wird das geschilderte Gefühl, oft unter Eintritt einer den kranken Körper angenehm durchziehenden Wärme oder leichten Schweißes, immer gewisser, man hofft immer sicherer auf baldiges Schwinden der Schmerzen; in zwanzig bis dreißig Minuten ist der Zustand fast völliger Schmerzlosigkeit und endlich in fünfzig bis sechzig Minuten volle Genesung eingetreten, oft begleitet von einem den ganzen Körper belebenden Wohlbehagen, was viele Stunden fühlbar war und die Nachtruhe günstig beeinflußte. Die Dosis des Mittels von 1,1 betreffend, die Dr. Overlach als vorzugsweise wirkend hinstellte, so stimme ich auch darin ihm vollständig bei. Dr. Overlach nennt die Zahl zum Scherz selbst eine krumme, aber bemerkt dabei, ohne Angabe weiterer Gründe, als der sehr maßgebenden guter und sicherer Erfahrungen, man solle die Zahl zum Zwecke sicherer Wirkung nicht ändern. Nahm ich z.B. nur 1,0 Migränin ein, so war der Eintritt der Erleichterungen entschieden verzögert; überhaupt war die ganze Wirkung nicht so intensiv und nachhaltig; ebenso ging es bei solcher Behandlung mit nur 1,0 Kranken, die nun und nimmer von der gekürzten Dosis ehre Ahnung haben konnten. Ich bin daher stets bei der Dosis 1,1 geblieben und werde damit auch weiter Andere und mich behandeln. Ein weiterer Vorzug des Migränin besteht auch darin, daß weder üble Nebenwirkungen noch schädliche Nachwirkungen je zur Beobachtung gekommen sind. Ob ein nachhaltiger Einfluß auf die gu. Leiden durch das Migränin gewonnen sein wird, will ich hoffnungsvoll weiter beobachten. Collegen, die, wie ich, mit dem Migränin Kranke behandelt haben und von diesen meinen Mittheilungen Kenntniß genommen, stimmen mit mir ganz überein, namentlich auch erstens in dem, was ich über das Ausbleiben übler Neben- und Nachwirkungen gesagt habe, und zweitens in dem, was ich jetzt noch, eine frühere dahingehende Bemerkung verstärkend, hinzufüge, daß es eine nicht gering anzuschlagende psychische Wirkung hervorruft, wenn der Kranke die sehr tröstliche Gewißheit hat, ein sicher, schnell und nachhaltig wirkendes Mittel für sein qualvolles Leiden stets zur Hand zu haben. Schließlich möchte ich nach so warmer und überzeugter Empfehlung dieses vortrefflichen Mittels über die Art und Zeit des Einnehmens noch bemerken, daß es am besten in Wasser gelöst eingenommen und dann noch ein Weinglas voll Wasser nachgetrunken wird. Sind des Morgens beim Erwachen schon Vorboten der Kopfschmerzen zu spüren, so nehme man sofort Migränin 1,1 und bleibe noch eine Stunde im Bette, der Ruhe pflegend, um dann genesen aufzustehen und ohne Störung an sein Tagewerk zu gehen. Tritt im Laufe des Tages das Leiden auf, so nehme man inmitten und trotz aller geschäftlichen Unruhe doch die gewöhnliche Dosis Migränin; man wird wenigstens einige Wirkung fühlen, bis eine zweite, am Abend in Ruhe genommene Dosis den vollen Erfolg herbeiführen wird. Viele College» und Laien preisen gleich mir das von dem Herrn Medicinalrathe Dr. Overlach jetzt dem Arzneischatze zugeführte Migränin, und ich selbst erfülle eine Dankespflicht durch vorstehende Mittheilungen, die ich nach der auf Erfahrung beruhenden Ueberzeugung: Quem capitis, doloribus affectum alia remedia non sanaverunt, sanabit Migräninum (Dr. Overlach), verfaßt habe. Allgemeine Medicinische Central-Zeitung Nr. 35. 1894" (Neue Freie Presse, 15. Juni 1894).

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