Pharmazie


Mogadon

MOGADON Roche
 

   

    Eine Verpackung der besonderen Art hat sich die Fa.Hoffmann-La Roche ausgedacht. Hat das Sechseck etwas mit der molekularen Struktur des Medikamentes zu tun? Dran besteht kein Zweifel: alle Benzodiazepine enthalten namensgebend ein System aus zwei miteinander verbundenen ringförmigen Strukturen: Benzol- und Diazepinring sind hier zu einem bicyclischen Ringsystem kondensiert. Im Falle der Benzodiazepine ist an den Diazepinring ein zweiter (!) Benzolring anelliert, ausreichend Gründe für eine secheckige Verpackung ...

 

Auch die Tabletten selber sind durchaus ulkig gemacht: zwei schlafende Augen - ein echtes Smilie!

 

 

Zum Erfinder

Leo Henryk Sternbach (1908-2005) wurde am 7. Mai 1908 im damals österreichisch-ungarischen Adria-kurort Abbazia (heute Opatija in Kroatien) geboren als Sohn eines jüdisch-galizischen Apothekers und einer jüdischen Ungarin. 1926 zog es die Familie nach Krakau. Dort Studium der Pharmakologie und Chemie, 1931 Promotion in Chemie, bis 1936 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni. Anlässlich eines Aufenthalts in Wien lernte Sternbach im Frühjahr 1937 den Chemieprofessor und späteren Nobelpreisträger Leopold Ruzicka kennen. Dieser lud ihn bald darauf ein, als Mitarbeiter in seine internationale Forschungsgruppe nach Zürich an die ETH zu kommen. 1937 Übersiedlung nach Zürich zu Ruzicka. Als der Basler Pharmakonzern Roche im Frühjahr 1940 einen Forschungschemiker suchte, meldete sich Sternbach. Daraufhin 1940 Wechsel nach Basel. 1941 siedelte er im Auftrag der Firma in die USA nach Nutley (New Jersey) um, wo er als Direktor der medizinischen Forschung von Roche pensioniert wurde und am 28. September 2005 in Chapel Hill starb.

 

- 1946 gelang Sternbach die erste synthetische Herstellung von Biotin, einem wasserlöslichen Vitamin B. Nach den traumatischen Kriegsereignissen aber eröffnete insbesonders der Psychopharmaka-Markt enormes Potential für die Pharmaindustrie. Mehrere Firmen drängten in den Nachkriegsjahren auf den Markt:

 - Rhône-Poulenc 1950 mit seinem Chlorpromazin. Ab 1952 konnten psychotische Symptome mit diesem ersten Neuroleptikum effektiv beeinflusst werden. Der Pariser Psychiater Jean DELAY (1907-1987) erfuhr eher zufällig von dem ursprünglich zur Narkosevorbereitung bestimmten Mittel und entdeckte dann seine »antipsychotische « Wirkung.

 - Meprobamat wurde 1954 von Frank Berger (1913–2008) entdeckt, 1955 von den Carter Wallace Laboratories unter der Bezeichnung Miltown in den Handel gebracht., dem Namen Equanil von der Firma Wyeth – seit 2012 ist die Substanz in der EU verboten.

- 1958 kam das Antidepressivum Imipramin auf den Markt.

 

Warum nicht auch Hoffmann-La Roche? Sternbach erinnerte sich an heterozyklische Substanzen, mit denen er sich in seiner Assistenzzeit in Krakau auf der Suche nach neuen Azofarbstoffen auseinandergesetzt hatte: Benzoheptoxdiazine (4,5-benzo-[hept-1,2,6-oxdiazine]) - leider waren sie als Farbstoffe nicht zu gebrauchen gewesen. Aus der Struktur des 1950 bei Rhône-Poulenc synthetisierten Chlorpromazins leitete er jetzt neue Moleküle ab, fügte Chlor an den Benzolring, fügte eine tertiäre Aminogruppe ein. Leider zeigten die so erhaltenen Substanzen keine pharmakologische Wirkung. Also: Projekt abschliessen, neue Aufgabe. Darum im April 1957: Ausmisten im Labor! In einem Gefäss mit einem Syntheseprodukt aus dem Jahr 1955 wurden bei dieser Aufräumaktion schöne Kristalle gefunden, die noch nicht auf eine pharmakologische Wirkung geprüft worden waren. Bei ihrer Überprüfung stellte sich heraus, dass sie

- im Tierversuch (Maus) niedrige Toxizität besaßen, dafür eine hohe pharmakologische, v.a. ZNS-depressive Wirkung: sedativ, muskelrelaxierend und antikonvulsiv waren,

- eine zähmende Wirkung an Affen und Löwen hatten.

- beim Menschen appetitanregend wirkten; sie bewirkten ausserdem ein erhöhtes Interesse an sozialer Aktivität, gesteigerte verbale Produktion, ein Gefühl von Wohlbefinden, Psychostimulans.

 

Was Sternberg fast nicht begreifen konnte: Benzodiazepine kommen in einem Konzentrationsbereich von 1-100 nmol/kg natürlich (!) vor:

- Diazepam und Desmethyldiazepam in verschiedenen Getreiden (Weizen, Mais, Reis), 

- Lorazepam und Lormetazepam in Kartoffeln und Weizen - aus Weizen und Kartoffeln wurden insgesamt 8 verschiedene Benzodiazepine isoliert, denen im menschlichen Gehirn vermutlicheine Funktion in der Verarbeitung von Gedächtnisinhalten zukommt "affaire à suivre" ... 

 

Hoffmann- La Roche ließ sich in der Folgezeit mehrere Produkte patentieren:

- 1960 wurde der Tranquilizer Chlordiazepoxide (Librium®) patentiert; bitter und instabil in wässriger Lösung.

- 1963 wurde Diazepam patentiert (Valium®). Dank besserer Eigenschaften war es zwischen 1968 und 1987 das weltweit meistverkaufte Medikament. Allein 1978 produzierte Hoffmann La-Roche 2.3 Milliarden Tabletten davon.

- 1964 wurde das Patent für Chlordiazepoxid (Mogadon®) publiziert und

- 1972 wurde Flunitrazepam (Rohypnol®) patentiert.

 

Die neuen psychoaktiven Substanzen ersetzten schnell u. weltweit die nach dem 1. Weltkrieg propagierte Malaria-Behandlung. Die Malariafiebertherapie war von den 1920er-Jahren bis in die 1960er-Jahre weltweit vor allem gegen die psychiatrisch-neurologischen Spätstadien der Syphilis zum Einsatz gekommen und wurde auch bei anderen Erkrankungen in der Psychiatrie eingesetzt. Dabei wurden die PatientInnen absichtlich mit einem gut behandelbaren Malaria-Erreger infiziert, um durch die starken Fieberschübe ein Abklingen der Erkrankungen zu erzielen. Die Malariatherapie galt vor der möglichen Verwendung von Antibiotika als die am besten wirksame Therapie bei Progressiver Paralyse, einem Spätstadium der Syphilis.

 

Das Anti-Depressionsmittel Prozac (in Deutschland: Fluctin®) des US-Pharmariesen Eli Lilly wurde in den 80er Jahren als ultimative „happy pill“ resp. als die ungefährliche „Sonnenbrille fürs Gemüt“ hochgejubelt. 1997 gelangte sie zu trauriger Berühmtheit als bei Henri Paul, dem Fahrer von Dodi und Lady Di, bei der Obduktion Spuren des Mittels im Blut gefunden wurden.

 

Exponat:

Die blaue 3.5 x 4.0 x 0.6 cm grosse Plastikschachtel, enthaltend drei Originaltabletten, ist ein Geschenk meines Freundes Herrn Apotheker Mag. Dr. Andreas Winkler, dem ich von hier aus herzlich danke!