Pharmazie


Radiumpastille

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Forscher der Universität Heildelberg befaßten sich seit dem frühen 20. Jahrhundert mit Radium. 1906 gründeten sie das "Institut für experimentelle Krebs-forschung", dessen Leitung Prof. Vincenz CZERNY (1842-1916) übertragen wurde. Es wurde das erste Zentrum für Strahlentherapie in Deutschland – Oberarzt Richard WERNER (1875-1945), unternahm hier erste Tierexperimente mit Radiumsalzen.

 

Radium vor Ort finden

Im Nahetal standen radioaktive Schichten an – der Kreuznacher Apotheker Karl ASCHOFF (1867-1945) stellte 1904 die radioaktive Strahlung des hier - zusammen mit dem Salzwasser - austretenden Radons fest. War das Gas therapetisch zu nutzen? Ja, ASCHOFF entwickelte die Radontherapie. Zunächst badete man im radonhaltigen Wasser der Quellen beider Heilbäder, erst 1912 kam ein Stollen hinzu ... Gab es in der Nähe ähnliche radioaktive Orte? Brunnen etwas flussaufwärts des heutigen Heidelberger Thermalbades wiesen eine höhere Wassertemperatur auf als andere im Stadtgebiet, auch waren warme Strömungen im Neckar beobachtet worden. Der Geologe und Mineraloge Prof. Wilhelm SALOMON (*15.2.1868 in Berlin; gest. 15.7.1941 in Ankara), Leiter des neu gegründeten Geologisch-Paläontologischen Instituts der Universität Heidelberg, machte sich daran, die geologischen Verhältnisse wissenschaftlich zu erforschen. Zur Finanzierung einer Bohrung warb er mit der möglichen Entdeckung von Petroleum, sonstigen Bodenschätzen und einer Mineralquelle.

 

Öffentliche Unterstützung

1912 stimmte der Stadtrat für das Vorhaben und stellte 400.000 Reichsmark zur Verfügung. Im darauffolgenden Jahr wurde auf dem Gelände östlich des heutigen Thermalbades gebohrt, Ende Juli wurde eine Tiefe von 570 Metern erreicht. Als das Deutsche Reich am 1. August 1914 in den Krieg eintrat, gingen die Arbeiten trotz einiger Widrigkeiten weiter. Allerdings standen Rohre in der nötigen Wandstärke nicht zur Verfügung, sodass schwächeres Material verwendet wurde, was möglicherweise für das spätere Versiegen der Quelle mitverantwortlich war.

 

Ein Solwasser

Am 14. August 1918 konnte Salomon in einer Tiefe von 998 Metern die erhoffte warme und ausreichend kräftige Quelle vermelden. Das Wasser der "Liselotte-Quelle" war salzig, roch nach Methan und wurde als Sole anerkannt. Laut Gutachten des Chemischen Labors Fresenius eignete es sich zu Badekuren, in verdünntem Zustand zu Trinkkuren, zu Duschen und Inhalationen. Ein weiteres Gutachten bestätigte, dass die Sole nicht nur gasförmiges, also schnell entweichendes Radium enthielt, sondern - als einzige Quelle in Deutschland - gelöstes Radiumsalz. Der Traum vom "Bad" schien Wirklichkeit zu werden, SALOMON wurde 1926 zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. "Mit der Radium-Solquelle war ein Heilmittel gefunden, für das die Krankheiten, die es behandeln kann, erst noch gesucht werden mussten", schreibt Hans-Martin Mumm in seinem grundlegenden Aufsatz zum Thema. Radium, das den Namen seiner radioaktiven Eigenschaft verdankte, war 1898 von Marie und Pierre Curie entdeckt worden. Wahre Wunderdinge wurden dem strahlenden Element zugeschrieben, obwohl oder besser, weil seine Wirkung kaum erforscht war. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schien es ein avantgardistischer Stoff. Auch außerhalb des medizinischen Bereichs mangelte es nicht an Ideen für seine Vermarktung: in Schönheitscremes und Zahnpasta etwa oder als Zusatz, der Farben in der Dunkelheit zum Leuchten bringt.

 

Ein gefährlicher Stoff

Zifferblätter von Uhren und Weckern konnten mittels Radiumzusatzes nachts abgelesen werden. Allerdings erkrankten in Amerika die Arbeiterinnen, die diese Zifferblätter bemalten und die Pinsel mit den Lippen anspitzen, an der Strahlenkrankheit. Das Schicksal dieser "Radium Girls" machte die Gefährlichkeit des Stoffes deutlich.

 

Vermarktung

Nach einigem Hin und Her wurde 1922 eine "Bad-Heidelberg-Aktien-Gesellschaft" gegründet. Eine mondäne Kurhotelanlage entstand auf dem Papier: Wandelhallen, Casino, Kino und Freizeithafen am Neckar.

Die Heidelberger "geizen nach dem Ruhm eines Weltbadeortes", schrieb das Berliner Tageblatt 1924, im Jahr der Grundsteinlegung für das Badehaus an der Vangerowstraße. Am 16.11.1924 war die Grundsteinlegung des "Radium-Solbades", wobei die Arbeiten wegen Verzug in der Ausführung wenig später eingestellt wurden. Nach Konkurs der „Bad Heidelberg AG“ im Jahr 1925 wurde diese in eine GmbH mit städtischer Beteiligung umgewandelt. Der Architekt Franz Kuhn wurde beauftragt, neue Pläne mit einem reduzierten Bauprogramm zur Weiterführung des Baus auszuarbeiten. Es kam über den Keller im Rohbau nicht hinaus. Als 1926 die Aktiengesellschaft zahlungsunfähig war, übernahm eine gemeinnützige Gesellschaft unter maßgeblicher städtischer Beteiligung. Der vielseitige Heidelberger Architekt Franz Sales-Kuhn wurde beauftragt, auf den vorhandenen Grundmauern einen reduzierten Baukörper zu entwerfen: das heute noch stehende "Radium-Solbad" in neoklassizistischem Stil wurde im Juli 1928 der Öffentlichkeit übergeben: 40 Badezellen, dazu Trink- und Inhalationskuren versprachen Linderung der Leiden. Die Quelle besaß verschiedene Heilstoffe und war die einzige Thermalquelle in Deutschland, die reines Radiumsalz enthielt. Trinkkuren und Bäder sollten gegen viele Erkrankungen helfen – von Katarrhen der Atmungsorgane über Skrophulose und Rachitis bis hin zu Rheuma, Gicht, Ischias und Arterienverkalkung. Die Sole wurde sorglos empfohlen bei Arterienverkalkung, Rheumatismus, Gicht und Ischias, Zucker- Darm- und Magenleiden, besonders auch bei Frauenleiden. Noch dazu war das Wässerchen "von herrlichem Wohlgeschmack". In Heidelberg wurde es auch am Quellhaus, im Stadtgarten, im Schlossgarten, am Philosophenweg und im Kurhotel "Viktoria" (heute Juristisches Seminar) verkauft. Für das "Radioaktive Tafelwasser" aus der Radiumquelle sowie für das Radiumquellsalz wurde deutschlandweit vertrieben. Das Jahr 1933 vermeldet einen "befriedigenden Geschäftsverlauf", zurückgestellt wurde allerdings die Idee, "dass die Bad Heidelberg A. G. in wirksame Konkurrenz treten kann mit den seit Jahrhunderten bestehenden Weltbädern".

 

Ende des Betriebes

Mit Eintritt Deutschlands in den 2. Weltkrieg endete der Kurbetrieb. Zu allem Unglück versiegte die Quelle 1957, möglicherweise, weil Sand sie verstopfte und wegen der zu dünnen Rohre. Reparaturversuche blieben erfolglos. Das neoklassizistische Gebäude in der Vangerowstraße aber blieb erhalten, es wurde vom Einwohnermeldeamt genutzt. Um 2000 diente es eine Zeit lang als Veranstaltungsort für junge Kunst, ab 2002 entstanden hier Geschäftsräume, eine Kindertagesstätte und Wohnungen.

 

Exponat

Am 22. April 1922 las man in der in Stuttgart erscheinenden "Süddeutschen Apotheker-Zeitung" (Nummer 29/30, 62. Jg) S.173): "Heidelberger Radiumpastillen. Wie aus anderen radioaktiven Quellen werden nun auch aus der Heidelberger Thermalquelle unter städtischer Aufsicht Pastillen hergestellt, die bei Heiserkeit, Gelenkrheumatismus und Gicht sich bewähren sollen. Den Alleinvertrieb hat die Firma Klinghoff & Korte in Heidelberg übernommen".

Leere Blechdose (Lutschpastillen), um 1922. Größe: 8 x 4.5 x 1.75 cm.