Pharmazie


Salvarsan, Neo-

NEOSALVARSAN 1944
 

 

       Schon 1863 hatte der französische Apotheker Antoine BÉCHAMP (1816-1906) eine organische Arsenverbindung (das "Atoxyl") zur Therapie der Syphilis entwickelt, die in der Praxis aber kaum anwendbar war, da in vielen Fällen  (entgegen dem optimistischen Namen A-tox-yl) der Sehnerv irreversibel geschädigt wurde und die Patienten in großer Zahl erblindeten. Es galt also, diese Substanz abzuändern. EHRLICH fand 1907 die wahre Formel des Arsen-abkömmlings Atoxyl, wodurch die chemische Abwandlung ermöglicht wurde. Dr. Sahachiro HATA (1873-1938) aus Tokio hatte sich schon in Japan mit der Syphilis-Forschung befaßt. Paul EHRLICH beauftragte ihn, die bekannten Arsenpräparate noch einmal auf ihre Wirksamkeit an großen Serien von Versuchstieren zu überprüfen. Beim 606ten Präparat wurde HATA fündig. Am 2. Juni 1909 hatte der Chemiker Bertheim das Präparat 606 synthetisiert. Es wurde die berühmteste Präparatnummer der Welt. Hata verabreichte die Substanz Hühnern, die mit Spirillose infiziert waren. Die Bakterien wurden sofort abgetötet. "Ehrlich-Hata 606. Der Unterzeichnete gestattet sich darauf aufmerksam zu machen, dass in seiner Apotheke, I. Kohlmarkt Kr. 11, schon seit der Einführung des Präparates von Ehrlich (Ehrlich-Hata 606) zahlreiche Lösungen sowohl zur intramuskulären als auch zur intravenösen Injektion angefertigt worden. Da sich der Gefertigte eine grössere Menge von Salvarsan gesichert hat, so bittet er die Herren Aerzte, sich im Bedarfsfalle an ihn zu wenden. Apotheke „zum Goldenen Kirschen“, Wien, 1. Kohlmarkt Nr. 11." (Neues Wiener Tagblatt, 8. Dez. 1910).

 

Interesse auch in Luxemburg

"Neues Heilmittel Ehrlich-Hata 606, Herr Dr. Rud. Klees aus Luxemburg weilte kürzlich einige Tage im allstädtischen Krankenhaus zu Magdeburg, um sich dort mit dem Studium der Syphilis-Behandlung mit dem Ehrlich-Hata-schen Mittel 606 zu befassen. Da Hr. Klees als Gefängnisarzt in der Abteilung für Geschlechtskranke über zahlreiches Materiat verfügt, läßt sich das Interesse erklären, welches derselbe für moderne Syphilisbehandlung bekundet" (Luxemburger Bürgerzeitung vom 24.11.1910).Erst Mitte Dezember 1910 kam das Präparat unter dem Namen Salvarsan in den Handel – KLEES hatte das Präparat also schon vorher in den Händen gehalten. Chemisch war es Arsphenamin, eine organische Arsenverbindung, mit der nun erstmals die Behandlung der Syphilis möglich wurde. 

 

Todesfälle

"Deutschland. Salvarsan. Die Abgeordneten Dr. Becker-Hessen, Dr. Gerlach, Dr Schatz (Elsaß-Lothr) und Struve haben folgende kurze Anfrage eingebracht: Durch die politische Tages- und medizinische Fachpresse geht die Nachricht, daß durch die Behandlung Syphilitischer mit Salvarsan 606 bereits mehrere hundert Todesfälle vorgekommen seien, und daß diese Behandlungsweise schwere, teils dauernde, teils vorübergehende Gesundheitsschädigungen im Gefolge habe. Ist der Herr Reichskanzler in der Lage und bereit, darüber Auskunft zu geben: 1. Ob diese Nachrichten auf Wahrheit beruhen? 2. Ob das Salvarsan sich im freien Verkehr befindet? 3. Ob die im Salvarsan enthaltene Arsenmenge um das Mehrfache die Maximaldosis für Arsen, wie sie in der Pharmakopoe festgelegt ist, übersteigt? 4. Ob die Todesfälle und Gesundheitsschädigungen auf das im Salvarsan enthaltene Arsen zurückzuführen sind?" (Luxemburger Bürgerzeitung, 5.3.1914).Was der deutsche Kanzler im Einzelnen antwortete, wissen wir nicht. Eines aber ist gewußt: Salvarsan hatte nicht nur Befürworter. "Der von dem Berliner Arzt Dr. Dreuw gegen die Salvarsanbehandlung geführte Kampf hat Ministerialdirektor Dr. Kirchner veranlaßt, im Staatshaushaltsausschuß des preußischen Abgeordnetenhauses einen Vergleich zwischen der Fall der Todesfälle, die durch die Salvarsan-Behandlung hervorgerufen wurden und den infolge Narkose mit Chloroform eingetretenen Todesfällen zu ziehen, wobei fich ergab, daß auf 100.000 mit Salvarsan Behandelte 16 Todesfälle, auf 100 000 mit Chloroform Narkotisierte aber 20 Todesfälle kommen" (Obermoselzeitung vom 22.3.1918).

 


Neo-Salvarsan

EHRLICH forschte mit seinem Team weiter, um die Eigenschaften des Präparates zu verbessern. Das gelang 1911 bei der Prüfsubstanz 914, die einen geringeren Arsengehalt, aber eine doppelt so starke Wirkung wie Salvarsan hatte. Dadurch ließen sich auch die Nebenwirkungen reduzieren. Das neue Mittel hieß Neosalvarsan. Die Skepsis der Ärzte blieb lange erhalten:"Es gibt auch heute noch Aerzte, die dem einstigen „Ehrlich Hata 606" spätere Salvarsan und heute Neo-Salvarsan genannten Mittel, skeptisch gegenüberstehen" (Salzburger Wacht, 9. Sept. 1927).

Trotz mehrerer Versuche, verbesserte Salvarsane (Myo, Solu) in den Handel zu bringen, konnte sich nur Neosalvarsan auf dem Markt behaupten. 1948 finden wir es in der Versteigerungsmasse des luxemburger Zolls: "Articles pour médecins, dentistes, pharmaciens et droguistes. 533 thermomètres médicaux, 1 lot important de spécialités pharmaceutiques Aspirin, Endojodin, Omnadin, Padutin, Sympatol, Cybazol, Neosalvarsan. 1 auriscope et ophtalmoscope combiné, 50 posemètres électriques, 241 dz. succions dentaires, 8056 rondelles pour prothèses dentaires" (Escher Tageblatt, 10.7.1948).