Kontrazeption


Patentex-Creme

PATENTEX 1960
 

 

   1908 gründete Friedrich Merz mit 24 Jahren sein Unternehmen in Frankfurt, zwischen 1909 und 1913 entstanden Filialen in Zürich, Wien und in Liechtenstein. 1911 entwickelte er das erste, kommerziell hergestellte, spermienabtötende Gel, das unter dem Namen Patentex® weltweite Verbreitung erfuhr. Von Ärzten und Apothekern mit Beifall aufgenommen, aber gegen den Widerstand von Kaiserreich und Kirche brachte Merz damit das erste lokale Verhütungsmittel auf den Markt.

 

"Merz, Friedrich *15.10.1884 in Groß-Bicherau / Odenwald, gest. 9.10.1979 in Rodau / Odenwald. Sohn eines Landwirten, war seit 1904 Apothekengehilfe in Freiburg / Schweiz und Metz und studierte anschließend an der TH Stuttgart. Nach dem Apotheker- und Chemischen Verbandsexamen 1907 machte er sich 1908 als Fabrikant für Apothekerbedarf selbständig und führte die kurz zuvor in England entwickelten Tuben für die Verpackung von Salben ein. Neben Tuben vertrieb er eine selbstkonstruierte Abfüllmaschine und stellte seit 1909 im eigenen Labor Salben und Tabletten für Apotheken und Droguerien her. Nach einem bereits 1905 patentierten Haarwasser entwickelte er u.a. das Verhängnisverhütungsmittel "Patentex" (1910) sowie die fettfreie, wasserlösliche und neutrale Salbengrundlage "Setol" (1911). Er gründete Niederlassungen in der Schweiz und Österreich (1911), Amerika und Grossbritannien (1920), schuf eine erfolgreiche vermarktete Menthol-zigarette und begann mit der Herstellung von Kosmetika (u.a. Placentubex"), wobei er bevorzugt Pflegeserien auf den Markt brachte" (Rudolf Vierhaus, Menghin-Pötel, Deutsche biographische Enzyklopädie).

 

Zusammensetzung

Patentex® bestand bis 1967 aus einer Zusammensetzung aus 2,66% Borsäure, 0,1% Formaldehydlösung, 3% Liquor Aluminii acetico-tartarici und 0,02% Chlorcarvacrol in wasserlöslicher "Serol"-Trägermasse mit Polyäthylenglycolphenoläther (Wolfgang Kliegel, Bor in Biologie, Medizin und Pharmazie, Bd.1, Springerverlag 1980 S.356). Jahrelang war es die ideale Ergänzung zum Scheidendiaphragma. Patentex war ein salbenartiges, jedoch fettfreies Präparat, das in einer Tube mit aufschraubbarem Mutterrohr angeboten wurde und als "Antiseptikum für die Vagina" in den Handel kam (Nachtrag I zu GEHES Codex der Bezeichnungen von Arzneimitteln, kosmetischen Präparaten und wichtigen technischen Produkten, Januar 1912 S.77).

 

Probleme bei der Werbung

Noch in einem Rezepttaschenbuch von 1923 (Rezepttaschenbuch von Ernst Frey, nebst Beiträgen von Ch. Harms, H. Hildebrand, Georg Otto, Erich Rapmund, P. Schenk, C. Siebert, Horst Straßner, P. Uhlenhuth, H Vogt) heisst es "Antiseptikum, Prophylaktikum gegen Geschlechtskrankheiten, ist ein Gemenge von Chinosol, geringen Mengen Alsol und Borsäure mit Stärkekleister als Grundlage (Hartung)" Der Hintergrund für diese Verschleierungstaktik ist die extrem restriktive Werbung: "Mit Gefängniß bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark (..) wird bestraft, wer (..) Gegenstände, die zu unzüchtigem Gebrauche bestimmt sind, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder solche Gegenstände dem Publikum ankündigt oder anpreist", hieß es in Paragraf 184/3 des Deutschen Strafgesetzbuches (betr. pornographische Schriften!), das von 1900 bis in die 1970er-Jahre hinein Gültigkeit besaß. Insbesondere machte die sog, "Lex Heinze" eine offene Bewerbung von Kontrazeptiva unmöglich. Nachdem diese im Zuge der Novemberrevolution 1918/19 abgeschafft worden war, verbot Himmler am 21. Januar 1941 die Werbung für Verhütungsmittel auf ein Neues. Besagter Himmler-Erlass (der Werbung für und Verkauf von Verhütungsmitteln mit Ausnahme von Kondomen verbot) blieb nach Kriegsende in mehreren Bundesländern in Kraft. Der Zugang zu Kondomen wurde sogar erschwert. Lit.: Daphne Hahn Modernisierung und Biopolitik: Sterilisation und Schwangerschaftsabbruch in Deutschland nach 1945, Verlag Campus 2000 S.71/85 . In Deutschland wurde das Produkt eher vom Schwarzmarkt unter die Leute gebracht.

 

Eine interessante Arbeit über "Die Aufgabe von Patentex bei der Verhütung der Geschlechtskrankheiten" bei Frauen finden wir im "Ärzteblatt für Bayern" Nr.7 1937 S.92. DurchHinzufügung der Trikranolin-Komponente (Chlorcarvacrol u. Formaldehyd) zur Oxychinolinverbindung konnte eine auffallende Wirkungssteigerung gegenüber den Gonokokken erreicht werden. Trotz dieser spezifischen Wirkung kam es zu keiner Schleimhautreizung. Über die Behandlung der weiblichen Go. mit Patentex berichtet Popp.

 

Und jetzt?

Hier der Hilferuf einer Benutzerin vom 1.8.2006, als das Präparat aus dem Handel genommen wurde: "Hallo Leute, ich habe bis jetzt das Patentex Gel für mein Diaphragma benutzt. Jetzt wollte ich es in der Apotheke wieder kaufen und man sagte mir, dass es das nicht mehr gibt. Die haben dann im Computer nachgesehen und überhaupt kein contrazeptives Mittel mehr gefunden, das man mit einem Diaphragma verwenden könnte. Jetzt bin ich sehr verwirrt, Dia´s kann man noch kaufen aber nicht mehr benutzen, weil es kein Gel mehr dazu gibt?". Der Dame kann geholfen werden, z.B. mit CONTRAGEL® ...

 

Cave: bitte nicht den Montagekleber Pattex nehmen statt Patentex – das Zeug klebt ganz gemein und brennt!

 

Exponat: "Seit über 50 Jahren bewährt" – demnach nach 1960 in den Handel gekommene rote Original-Schachtel der Schweizer Handelsniederlassung Walter Baumann in Zürich mit einer angebrochenen Tube. Dabei eine ausführliche Gebrauchsaneisung und der Applikator aus Kunststoff. Nota: in grüner Schachtel gab es eine Nachfülltube.