Schnabeltassen


Schnabeltassen (09)

 

Füttern (heute spricht man lieber von Essenanreichen, Esseneingeben und Essenreichen) gehört zu den täglichen Tätigkeiten unseres Pflegepersonals. In der Ausbildung kommt die Materie zu kurz. Ärzte haben davon überhaupt nie gehört, bestenfalls etwas von Aspirationspneumonie gelernt ...

Eher von den Löffeln leitet sich dieses Fütterschälchen ("pipette de malade") ab: ohne Henkel, dafür mit einem (allerdings sehr stuppigen) Löffelstiel. Über die Halbwertszeit dieser Griffe wage ich nicht nachzudenken - knacks, und er war ab ...

Die angebrochene Schnauze unseres Schälchens zeugt von einem Zweikampf mit den Schneidezähnen eines Patienten ...

Schmunzelecke
"Variationen über Wilhelm Busch. Die Psychanalyse. Wir gehen von dem in der ausgezeichneten Biographie von dem Großneffen des Meisters Wilhelm Busch enthaltenen Erlebnis aus. Danach hatte der dreijährige Wilhelm einmal ein paar Tage lang einen quälenden Husten; Die Mutter gab ihm in einer Schnabeltasse Likör zu trinken. (Gemeint ist wahrscheinlich, der als Hustenmittel für Kinder beliebte Liquor amorii-anisatus.) Da nicht anzunehmen ist, daß das 3jährige Kind schon Sorgen im Sinne der Erwachsenen gehabt hat, andererseits aber der Zusammenhang der künstlerischen Produktion des Erwachsenen mit dem zum Komplex gewordenen traumatischen Erlebnis der Kindheit außer jedem Zweifel steht, muß der Spruch als Symbol aufgefaßt werden. Wichtig ist, daß die Mutter die Arznei verabreicht. Wir denken sofort an Frau Sorge, an Mutter Sorge, an die Faustischen Mütter. Der Wunsch, sich durch sinnlose Betrunkenkeit in die Bewußtlosigkeit zu flüchten, ist der verdrängte Trieb einer Rückkehr in den Mutterleib. Andererseits ist die Schnabeltasse wichtig. Sie ist ein bekanntes Symbol für den Vater. Ein ähnliches Symbol findet sich auch im Obeliskenkult der älten Aegypter, bei den Buschmännern und Azketen. Es scheint also sehr weit verbreitet zu sein. In dem von dem 43 Jahre alten Busch gedichteten Spruch sehen wir eine Regression in die Periode der libidinösen Besetzung der oralen Zone und gleichzeitig eine Mutterbindung (mit dem Wunsche der Auslöschung des Traumas von der Geburt) und ambivalente Vaterdrohung mit Abneigung des Vater- oder männlichen Symbols im Sinne des unerledigten Oedipuskomplexes.
E. Thekla"
(Escher Tageblatt vom 18.6.1938).

Erstanden im Juli 2012 auf Ebay von Simon Boyd in London.