Gynäkologie


Untersuchungsstuhl

um 1910 

Gebärstuhl. Sobald preiswerte Massendrucke auf den Markt kamen und "triviale Themen" gedruckt wurden (Gutenberg 1450), berichteten alle "schreibenden" Geburtshelfer von dem Nutzen der Gebärstühle. Während der Gebärstuhl, gefördert von diesen Schriften, seinen Weg von Italien (SAVONAROLA, 1547) in alle Länder Europas nahm, wurde er bis zu seinem Verschwinden im 19. Jh. ständig verändert und verbessert.
In England wurde der Gebärstuhl schon zu Beginn dex 18. Jh. aufgegeben. Auch französische Geburtshelfer distanzierten sich um diese Zeit vom Stuhl und entbanden ihre Patientinnen im Liegen - um die Mitte des 18. Jh. verschwand der Gebärstuhl ("chaise obstétricale" genannt) in Frankreich. Er wurde zur typisch deutsch-holländischen Domäne - deutsche Geburtshelfer fuhren in der Tat unbeirrt weiter, ihre Gebärstühle technisch auszufeilen. Erst Anfang des 19. Jh. kam in deutschen Landen, unter dem Einfluss der allenthalben aufblühenden Gebärkliniken und ihrer vielfach in Frankreich ausgebildeten Leiter, die Stellung des Gebärstuhles ins Wanken.

Das "Gebärstuhlbett"
Schon Ende des 18. Jh erkannte man die Nachteile des Gebärstuhles und plädierte für ein, wenn auch besonders gestaltetes, Bett. Im deutsch-französischen Grenzgebiet finden wir Georg Wilhelm STEIN in Strassburg, der 1772 einen verstellbaren Stuhl bauen liess mit abnehmbarem Fussteil - Vorläufer seines "Gebährstuhlbettes". OSIANDER in Göttingen (1792-1822) liess einen zusammen-klappbaren Stuhl bauen, den die Hebamme unauffällig in das Haus der zu entbindenden Frau schaffen konnte. Bekannte "Gebärstuhldesigner" wurden Schmitson in Jena und E. von Siebold in Berlin (1818). Die Unmöglichkeit jedoch, solche Möbel zu transportieren und der hohe Anschaffungspreis verhinderten ihre Verbreitung. Auch das STEIN'sche Patent war unerschwinglich teuer, zu kompliziert im Zusammenbau und zudem instabil. Finanziell muss sich die Entwicklung eines derartigen Stuhles bzw. Bettes dennoch rentiert haben, wie sollte man sonst den Eifer der Erfinder erklären: 1810 kannte B. Schreger (Übersicht über die geburtshilflichen Werkzeuge und Apparate, um 1810) an die 60 verschiedene Modelle von Gebärstühlen- resp. Betten.

Unter dem Einfluss der französischen Geburtshilfe (besonders MAURICEAU) aber verschwand der Gebärstuhl allmählich auch aus deutschen Kreisszimmern. Mitte des 19. Jh. war er aus der Mode.

Untersuchungsstuhl Um 1910 stellte die Firma Gusdorf nach Angaben des Arztes MARX aus Worms ein Möbel her, das eine Kombination von Untersuchungsstuhl und Chaiselongue bildete.
"Es wird nur die eine Hälfte des Divans für den Untersuchungsstuhl benutzt, der Kopfteil des einen wird nach der Wegnahme eines Kissens zum Sitzteil des anderen. Sowohl Rücken- als Sitzteil sind in jeder gewünschten Winkelstellung festzustellen. Der Untersuchungsstuhl kann aus dem Divan mit einigen wenigen Griffen hergestellt werden"(Zbl.Gyn. 1910 nr. 43 S.1407).
Der hier vorgestellte Stuhl (er wurde in Attert an der luxemburgisch-belgischen Grenze erworben, wo er in einer Bauernstube mehrere Jahre als Fernseh- und Videotisch herhalten musste), stellt den kranialen Teil eines MARX-bettes dar, wobei der Fussteil verlorenging. Nur die seitlich angebrachten Ketten beweisen, dass sie einst ein Fussteil festhalten mussten. Masse 53x60x80 cm.
Ein typengleicher Stuhl befindet sich in der Sammlung des Grevenmacher Arztes Dr. BROUCH (Chez CH. DELACRE et CIE / BRUXELLES). Ein ähnliches Modell wird in Brüssel im "Musée de la Médecine" gezeigt mit dem Vermerk: "Table d'accouchement, Nord de la France, XVIIIe siècle, Chêne, 100x66x55 cm. Cette table entièrement pliable permet au médecin accoucheur de l'emporter dans ses tournées".