Chirurgie


Skalpell mit Wechselklingen

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Der chirurgisch tätige Hausarzt musste sein Instrumentarium in einer Tasche mit sich schleppen und war bemüht, möglichst wenig Gewicht tragen zu müssen. Daher verzichtete er auf überflüssige Skalpellgriffe ....

 

Exponat

Skalpell mit 7 Wechselklingen. Keine Herstellerangabe. Eine Abbildung des Skalpells finden wir im Katalog der Fa. AESCULAP aus der Zeit um 1920/30.

 

Auf der Unterseite des Schiebers findet sich die Zahl 24. Keine Herstellerangabe.

Chirurgie


Sonde, chirurgische (1)

Sonde, um 1900 

 

 

Um Gewehrkugeln in der Tiefe des Schusskanals zu orten, benutzte man eine Sonde – bewährt hat sich (insbes. im amerikanischen Sezessionskrieg) die französische Sonde nach Auguste NELATON (1807-1873), deren Spitze mit Porzellan überzogen war.

 

Nota: die hier vorgestellte Sonde trägt leider keinen Porzellankopf. Ähnliche Instrumente diente auch als Kauter, wenngleich man annehmen darf, dass der Chirurg in Anbetracht des kurzen Stieles der Sonde Gefahr lief, die Pfote zu verbrennen …

Chirurgie


Sonde, chirurgische (2)

noch heute gebräuchliche Modelle

 

 

Schon in Bestecken des 17. Jh. finden wir sog. Leit- oder Hohlsonden, mit denen der Chirurg, in Ermangelung einer Röntgenuntersuchung, den Verlauf einer Wunde (Fistel, Schusskanal etc.) austasten konnte. Die Kombination Leit- und Hohlsonde war besonders in denjenigen Fällen sinnvoll, bei denen der Chirurg sein Messer durch die Rinne gleiten lassen konnte, um den Kanal so zu erweitern, dass er einen Fremdkörper (Holzstück, Kugel etc.) zu fassen bekam...

 

Wer aber war der Erfinder?

Gleich mehrere Chirurgen "erfanden" immer wieder neue Sonden:

- "LOUIS erfand die gefurchte Flügelsonde, auf welcher eine myrtenblattförmige, zweischneidige Klinge fortgeschoben und demnach der Schnitt (der weiblichen Harnröhre) von aussen nach innen gemact wird" (Johann Nepomuk Rust, Theoretisch-praktisches Handbuch der Chirurgie mit Einschluss der syphilitischen und Augen-Krankheiten, 1834 S.181).

- HEISTER's Flügelsonde (Albert Wilhelm Hermann Seerig, Armamentarium chirurgicum oder möglichst vollständige Sammlung von Abbildungen und Beschreibungen chirurgischer Instrumente, Breslau 1838 S.499) war eine "auf ¾ ihrer Länge gerinnte Sonde mit zwei seitlichen Flügeln".

- PERRET's Flügelsonde unterschied sich von der Heister'schen dadurch, daß sie der ganzen Länge nach gekrümmt war.

- MERY's Flügelsonde unterschied sich von Perret's durch umgekehrt birnenförmige Flügel.

- RUST's Flügelsonde hatte bewegliche (!) Flügel.

- Die Hohlsonde nach KLUGE war spitz und vorne offen,

- LATTA's Hohlsonde hatte einen breiteren Flügelgriff.

- MOHRENHEIM's Sonde war eine vorne leicht aufwärts gebogene Hohlsonde.


Die Länge der historischen Sonden schwankt zw. 10 und 18 cm.

 

Exponate

Die "sonde cannelée" der Franzosen gibt es mit den verschiedensten Flügeln und aus verschiedensten Materialien (Metall, Silber, vernickelt, versilbert). Einzelne Modelle (wie das untere im Bild, von der Fa. SCHWOB) haben an der Spitze der Rinne eine Bohrung, durch die ein Faden gezogen werden kann ...

Chirurgie


Staubinde

Tourniquet
Arterienpresse
Bell Benjamin 1802...
 

 

 

 

 

 

Die Kompression einer stark blutenden Ader erfolgte im ersten Anlauf chemisch:

a) indem man Blutgefässe mit Kupfervitriol verätzte;

b) Kompressen tränkte man mit Branntwein 

c) geläufig wurde ein Pilz eingesetzt: der (aufgeplatzte) Bovist, der, getrocknet, als blutstillende Wundauflage benutzt wurde, weswegen er "Fungus chirurgorum" (Pilz der Chirurgen) genannt wurde.

Erst wenn Chemikalien nicht habhaft waren und weder Fingerdruck, noch Umstechen*, noch Brennen halfen, erst dann legte der Chirurg einen Druckverband an. Der deutsche Wilhelm Fabry von Hilden (1560-1624) und Hans von Gersdorf sollen eine primitive Form des Garrot angewandt haben, ein Holzpflock, der unter eine Ligatur aus einem Haarnetz geschoben und abgedreht wurde.

 

*Die Erfindung der Massenligatur wird dem in Besançon tätigen Wundarzt Etienne Jean MOREL (1648-1710) zugeschrieben, der ein Knebel-Tourniquet 1674 bei der Schlacht von Besançon verwendet haben soll (Seerig AWH. Armamentarium chirurgicum oder möglichst vollständige Sammlung von Abbildungen und Beschreibungen chirurgischer Instrumente älterer und neuerer Zeit. Band I-II und Tafelband mit 145 lithographierten Tafeln. Breslau: A Gosohorsky 1838) - un simple lien circulaire, garrotté autour du membre au moyen d'un bâton. Morel appela cet instrument par conséquent un "garrot". (vgl. "la garrotte", das Würgeeisen).

 

"En 1674 au siège de Besançon, un chirurgien nommé Morel imagina de comprimer les vaisseaux sanguins par un appareil de sa fabrication : un garrot circulaire comportant une cheville dont on réglait la tension en la tournant sur elle-même, d’où le nom de tourniquet. Régulièrement perfectionné, cet appareil fut utilisé jusqu’au 19e siècle. Bien que l’hémostase dans les amputations des membres ait encore été améliorée par l’utilisation de tourniquets à vis, la mortalité suite aux infections resta élevée" (Musée).

 

Hatte Morel sein Gerät zur notfallmässigen Blutstillung benutzt, ersann der französische Chirurgen Jean Louis PETIT (1674-1750) ein Gerät, um es bei geplanten Amputationen anzuwenden. Sein Gerät komprimierte nicht mehr das gesamte Glied, sondern nur den stark blutenden Hauptstamm der Arterie. 1718 publizierte er die Abbildung seines Schraubentourniquets, von ihm "tourniquet à vis" genannt, mit dessen Hilfe man stufenweise die zu amputierende Extremität komprimieren konnte – Vorstellung des Instrumentes. Erste Ausführungen aus Holz, spätere aus Metall. (tornaculum, torquilar).

 

Heister hat das Gerät 1740 verbessert. Dennoch hatte ES eine sehr unangenehme Eigenschaft: die Tendenz, umzukippen.

"plus la pression est forte, plus la plaque supérieure s'élève, l'appareil devient trop haut pour sa base, le moindre choc le renverse, ou pendant l'opération par les mouvements du malade et la contraction des muscles, ou après, par quelque choc imprévu, ce qui occasionne souvent une hémorrhagie promptement mortelle" (H.V. Malan, Recherches sur un nouveau tourniquet, in: L'Esculape, gazette des médecins praticiens n°1 du 7 février 1841, p. 82)

 

Das Anlegen des Tourniquet war schmerhaft. Oft ging wertvolle Zeit verloren. Viele Chirurgen hielten Tourniquets für völlig überflüssig, ja, für gefährlich (Robert Liston, Bemerkungen über die Tourniquets, in: Edinbourgh medical surgical Journal, Jan. 1854, zit. in: Notizen aus dem Gebiet der Natur- und Heilkunde, 1824 S. 320). Erst im 18. Jahrhundert kam der Petit'sche Arterienabbinder in grösserem Masse in Gebrauch. Allzu heftig war oft die Blutung aus der angeschnittenen Extremität, wenn Blut zwar nicht zum Herzen zurückfliessen konnte, der Zufluss von arteriellen Blut aber durch eine ungenügende Kompression nicht wirklich unterbunden war. 

 

Exponat

Der Griff unseres Tourniquet ist identisch mit dem bei Anton Bum (1856-1925) "Therapeutisches Lexikon, f. Praktische Ärzte, Urban & Schwarzenberg, Wien, 1891" S. 51 abgebildeten Exemplar. Datierung daher um 1890).

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Stelzbein (1), Ansichtskarte 1907

 

 

Das Thema des Stelzfusses war bei romantischen Autoren beliebt, die Verkrüppelung brachte zwangsläufig den sozialen Abstieg mit sich. So beschrieb Franz Grillparzer (1791-1872) 1847 in seiner Erzählung "Der arme Spielmann" einen verarmten Krüppel
"Ein alter invalider Stelzfuss, der auf einem entsetzlichen, offenbar von ihm selbst verfertigten Instrumente, halb Hackbrett und halb Drehorgel, die Schmerzen seiner Verwundung dem allgemeinen Mitleid auf eine analoge Weise empfindbar machen wollte".



Man denke an das Märchen von Hans Christian Andersen "Der Schweinehirt", und an die daraus gestrickte heitere Oper von Bernhard Sekles "Die zehn Küsse" (Inszenierung: Christian Schuller): die 1926 uraufgeführte Oper des Kompositionslehrers von Paul Hindemith behandelt die Fabel einer verzogenen, eitlen und letztendlich doch beeindruckbaren Prinzessin auf ganz eigensinnige Weise.

 

Das Thema taucht nur beiläufig auf Ansichtskarten aus der "Belle Epoque" auf.

Vorgestellt wird eine Ansichtskarte, die den Schweinehirten von Mondorf zeigt, wie er um 1907 seine Herde durch die "Önneschtgaas" zum "Schwéngsbaam", einer alten Eiche treibt, wo die Tiere grasen durften. Pierre HIPPERT trug seinen Namen nicht zum Scherz - er "hippte", d.h. hinkte, da er auf der rechten Seite ein Holzbein trug. Die Leute nannten ihn "Hasky's Pitt" ...

 

ahd. und mdh. swein, ndd. sween, das "Schweinehirt" bedeutet. "Sweene" [Schweinehirten], die die "swyn", [die Schweine] "hoeden soelen" hüten sollen. In der Karolingerzeit geht von einem "apscua porcorum" die Rede, einer Weidetrift für Schweine. Auch einer meiner Vorfahren war um 1770 "custos pecorum" Viehirte resp. "custos porcorum" - Schweinehirt ...

 

Der Hirte gehört einer vergangenen Welt an, als im Sommer die Kühe von den Kuhjungen gegen ein oft jämmerliches Entgelt gehütet wurden, der Schäfer seine Herde von 200-300 Schafen über die Flur trieb, der Dorfhirte seine Schweineherde längs den Wegen an den Waldrand führte, wo sie Bucheckern und Eicheln schmauste ... Dabei sorgte er , ohne explizit zu wissen, was er tat, für das Offenhalten der Heideflächen und Entfernen der unliebsamen Gehölze.


Karte N. Schumacher / Mondorf n°64; die Karte n°63 zeit den gleichen Hirten, ist aber eine Fotomontage, bei der der Stelzfuss leider nicht zu sehen ist ...

Chirurgie


Stelzbein (2)

 

 

"Rote Kreuz-Sammlung zugunsten der freiwilligen Krankenpflege im Kriege" - Gemälde des Historienmalers Adalbert von Roessler (*1853 in Wiesbaden, gest. 1922 in Berlin, wo er gelebt hatte).

 

Rössler stellt rechts im Vordergrund seines Bild einen Greis dar, der "glücklicher" Träger eines Stelzbeines ist: geschunden, aber nicht tot ...

 

 

Zum Wesen der freiwilligen Krankenpflege im Krieg
"Freiwillige Krankenpflege, auch freiwillige Kriegskrankenpflege, (ist) die staatlich überwachte und geleitete Teilnahme von nicht militärpflichtigen, in der Krankenpflege ausgebildeten Personen (auch weiblichen) am Verwundeten- und Krankendienst im Kriege bezw. die Gesamtheit der zu solcher Teilnahme berechtigten Personen und Vereine. Grundsätzlich wird im Deutschen Reich diese Berechtigung ausschließlich solchen Vereinigungen zuerkannt, die sich schon im Frieden den Zwecken der Krankenpflege widmen. Es sind dies einmal diejenigen Vereine, welche den großen, einheitlich geleiteten Verband der Teutschen Vereine vom Roten Kreuz bilden, außerdem die Ritterorden: Johanniter, Malteser, St. Georgsritter. Eine außerhalb dieser beiden Gruppen stehende Vereinigung oder eine einzelne Person, welche sich im Mobilmachungsfalle unter Nachweis ihrer Würdigkeit und Fähigkeit für die Zwecke der F. K. zur Verfügung stellt, muß sich einer der vorstehend aufgezählten Gruppen dienstlich unterordnen. Keinesfalls darf nach der deutschen Kriegssanitätsordnung die F. K. selbständig neben der staatlichen Kriegskrankenpflege thätig sein, vielmehr kann ihr eine Mitwirkung überhaupt nur insoweit eingeräumt werden, als sie dem Heeresorganismus eingefügt und von der Staatsbehörde geleitet wird. Andererseits wird vom Staate auf ihre Mitarbeit innerhalb bestimmt festgesetzter Grenzen gerechnet. Sie ist daher nicht mehr wie früher nur geduldet, sondern bildet einen wesentlichen Bestandteil des Kriegssanitätsdienstes. Den ihr erteilten bestimmten Rechten stehen bestimmte Pflichten gegenüber. Für den Einzelnen ist demgemäß nur der Entschluß, an den Arbeiten der F. K. teilzunehmen, ein freiwilliger. Sobald er dem Verbande der F. K. angehört, ist eine Einstellung der Thätigkeit nur unter bestimmten Voraussetzungen und bestimmten Formen möglich; auch in der Art der Thätigkeit gelangt überall das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen zur strengen Durchführung. Das gesamte freiwillige Personal steht unter militär. Disciplin: soweit es auf dem Kriegsschauplatze Verwendung findet, ist es auch der Militärgerichtsbarkeit, den Kriegsgesetzen und der Disciplinarstrafordnung unterworfen; andererseits steht es in Feindesland als zur Heeresfolge gehörig unter militär. Schutze und staatlicher Fürsorge betreffs der Unterkunft, Verpflegung u. s. w. Zur Kennzeichnung erhält jedes auf dem Kriegsschauplatze verwendete Mitglied der F. K. eine vom Kriegsministerium vorgeschriebene Uniform und trägt am linken Oberarm das dienstlich abgestempelte Schutzzeichen der Genfer Konvention (weisse Binde mit rotem Kreuz). Die Verwendung der F. K. soll grundsätzlich im Rücken der kämpfenden Feldarmee, d. h. im Bereich der Etappeninspektionen und von deren Lazaretten auf dem Kriegsschauplatz erfiolgen" (Brockhaus 1896)

 

Zur Rolle der Frau bei der Verpflegung der Soldaten hier ein interessanter Beitrag (Internet)
"Frauen haben in den beiden Weltkriegen eine aktive Rolle eingenommen. Neuere Arbeiten zu den Geschlechterverhältnissen im Krieg kommen zu dem Ergebnis, dass Frauen nicht nur an der "Heimatfront" wichtige Funktionen zur Produktion von zivilen und militärischen Gütern versahen, sondern sie den Soldaten aus freien Stücken an die Front bzw. ins Etappengebiet folgten. Hierbei stand der Wunsch im Vordergrund, aktiv am Kriegsgeschehen teilzunehmen. Als "Frontschwestern" wurden die Frauen annähernd den selben äußeren Bedingungen ausgesetzt wie die Frontsoldaten. So wurde die freiwillige Krankenpflege im Krieg schließlich als weibliches Gegenstück zur männlichen Wehrhaftigkeit stilisiert, wobei die Frauen zum Teil kräftig daran mitarbeiteten: "Man ist aber Soldat und als Soldat hat man zu schweigen und die Befehle auszuführen" (S. 102), so lautete die Aussage einer Krankenschwester, die damit über die rechtliche Einbindung in die militärische Befehlshierarchie hinaus wies. Der Mythos von den Frontschwestern und den Friedensengeln verstärkte sich nach Kriegsende, als Schwestern wie Elsa Brandström von den ehemaligen Kriegsgefangenen geradezu vergöttert wurden.


Als Motivation zum freiwilligen Dienst in den Lazaretten dürfte ein aktivistisches Bedürfnis hinzu kommen. Man wollte in weltgeschichtlich bedeutsamen Zeiten nicht abseits stehen, sondern im Krieg einer Tätigkeit nachgehen, die sich von derjenigen in Friedenszeiten deutlich unterschied. Desillusioniert berichten die Schwestern an ihre Mutterhäuser von langen Phasen der Langeweile, die sich von ihren Erwartungen unterschieden. Doch auch gegenteilige Erfahrungen spiegeln sich in den Briefen, Tagebüchern und Berichten und Erfahrungen.

Chirurgie


Stelzbein (3)

Original Stelzfuss aus der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg 

 

In der Antike haben Römer und Griechen Beinprothesen hergestellt. Im 5. Jh.v.Chr. beschrieb der griechische Dichter Aristophan in seinem Gedicht « Die Vögel » einen Invaliden mit einem Holzbein. Der Historiker Herodot erzählte im 4. Jh.v.Chr. in seinem Buch "Kalliope" (Buch IX, Kapitel 37) die Geschichte des Thereupon Hegesistratus von Elea, der sich 484 v.Chr. einen Fuss abhackte um den Spartanern zu entwischen – er lebte weiter mit einer Holzprothese. Plutarch wiederholt die Geschichte des Hegesistratus in seinen "Moralia 479 b". Einer der ältesten archäologischen Hinweise auf eine Beinprothese ist der 1858 ausgegrabene „Stelzfuß von Capua“, ein Gerät aus Bronze, das aus der Zeit um 300 v.Chr. stammte [es ging 1942 bei der Bombardierung Londons verloren].
www.kahutek.co.uk/puk/page.asp?page=103

Oberschenkel- amputationen überlebten die Patienten in der Regel nicht. Bis zum 16. Jahrhundert halfen sich Unterschenkelamputierte mit einfachen Holzstelzen. Ambroise PARE (1509-1590) entwarf eine Reihe neuartiger Prothesen, mit metallener Rüstung, einem im Knie artikulierten Stelzbein und den „cuissard à pilon“ wie er noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts benutzt wurde. Die Prothesentechnik des Alltags war primitiv. Eine Ausnahme war das Bein des „Kleinen Lotharingers“ aus dem 16. Jahrhundert. Es war in Rohrskelett-Bauweise konstruiert, mit gefedertem Fuß und gesperrtem Kniegelenk, und wurde durch eine Art Ritterrüstung verkleidet. Es ist ein immer wieder aufgeführtes Beispiel für Handwerkskunst und „Hightech des Mittelalters“, vergleichbar mit der „Eisernen Hand des Götz von Berlichingen“. Für Wohlhabende gab es also im 16. Jahrhundert neben den Stelzen auch schon erste Prothesenkonstruktionen. Sie hatten einen gefederten Prothesenfuß und ein bewegliches Kniegelenk. Zum Sitzen wurde das Knie abgewinkelt, beim Gehen musste es arretiert werden. Solche Prothesen waren Einzelstücke für Wohlhabende, im Unterschied zum Stelzbein für die Armen.

Ideal war die Stelze für Unterschenkelamputierte. Das noch vorhandene Kniegelenk wurde gebeugt und der Rest des Unterschenkels hinter den Oberschenkel hochgeschlagen. Auf diese Art stand der Patient auf dem Knie - eine völlig schmerzlose Art des "Knieens", bei dem der Stumpf überhaupt nicht belastet war. Weit weniger angenehm war die Stelze für den Oberschenkelamputierten. Er "ging" sozusagen auf dem schmerzhaften Stumpf.

Berühmter Träger eines Stelzbeines war Peter Stuyvesant (1612-1672). 1644 hatte ihm [beim Angriff auf die von den Portugiesen besetzte Insel St. Martin] eine Kanonenkugel den rechten Unterschenkel weggerissen - er musste (unterhalb des Kniegelenkes) amputiert werden. In seiner Heimat Holland liess er sich ein hölzernes Bein fabrizieren und hiess fortan "Peg-leg-Pete". Mit dem neuen Bein ausgerüstet stach er erneut in See – nach dem heutigen New York, wo er 1647 Gouverneur wurde. Ein historisches Detail: in seiner Verwaltungszeit wurde in Neu-Amsterdam (der Südspitze von Manhatten, im heutigen New York) ein erstes Krankenhaus gebaut!

Unter den berühmten Holzbein-trägern sollte man den dominikanischen Freiheitskämpfer "Jambe de Bois" nicht vegessen, der 1653 den Merengue-Tanz "erfand", ein Tanz, bei dem nur ein einziges Bein bewegt wird, das zweite steif ist. Diese Anekdote nur, um Ihnen zu zeigen, dass man trotz Holzbein gar lustig sein kann!

1589 verfasste Georg Rollenhagen (1542–1609) seine Satyre „Der hinkende Bote“ - der Name stand später Pate für den Jahreskalender, der 1676 in Basel erschien, ab 1707 in einer französischen Ausgabe, 1851/52 in einer luxemburgischen Version "Der Luxemburger hinkende Bote", aus dem unsere Grosseltern Wettervorhersagen und andere Weisheiten bezogen.

1800 entwarf der Londoner Prothetiker James POTTS für Henry Paget Marquis of Anglesey ein hölzernes Bein, das "Anglesey leg", bei dem sich die Zehen über künstliche Sehnenstränge anhoben sobald das Knie gebogen wurde. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts aber blieb die einfache Holzstelze der übliche Beinersatz. Schreiner, Tischler und Dorfschmied teilten sich die Arbeit - jedes Exemplar war eine Einzelanfertigung.

Während des amerikanischen Sezessionskrieges (1861/65) wurden 30.000 Soldaten amputiert – eine ganze Industrie lebte nun davon, diese Menschen mit Prothesen zu versorgen.

Die Stelze war leicht und gestattete ein wendiges Gehen. Sich auf der Stelle umdrehen war damit ein Kinderspiel! Trotz Prothese aber konnten die Kriegsinvaliden nur ganz simple Berufe ausüben. Theodor Fontane (1819-1898) erzählte 1878 in seiner Erzählung "Vor dem Sturm" von "alten Mütterchen, primitiven Tabulettkrämern, endlich Stelzfüßen, die neben den beiden Berliner Zeitungen allerhand Flugblätter feilboten". Mancher "Stelzfuss" kam in seiner Armut auf die schiefe Bahn. So liess Arthur Conan Doyle (1859-1930) in seinem 1890 erschienenen Kriminalroman "Das Zeichen der Vier", den Schurken durch den holzbeinigen Small verkörpern...

Der 1. Weltkrieg hinterliess wiederum tausende von amputierten Veteranen, die auf Staatskosten mit Prothesen versorgt werden mussten, so viele Menschen konnte man nicht in die Arbeitslosigkeit entlassen. Allein in Deutschland brauchten über 44.500 Kriegsversehrte Bein- und Fußprothesen; Krankenversicherungen und der Verein für "Krüppelfürsorge" zahlten. Es galt, diese jungen Menschen soweit mit Prothesen auszustatten, dass sie einer geregelten Arbeit nachgehen konnten – „Arbeitsprothesen“ für die Arbeiter, „Sonntagsprothesen“ für die besseren Leute... Viele Kriegsversehrte erwarben nach dem Ersten Weltkrieg Konzessionen als Leierkastenmänner - was nicht immer gut ausging, wie der Roman "Die Rebellion" von Joseph Roth (1894-1939) von 1924 lehrt, in dem der Krüppel Andreas mit seiner Krücke einen Polizisten schlug und verhaftet wurde. Andere "Stelzfüsse" wurden Zeitungsverkäufer oder handelten mit Kurzwaren auf der Straße.

Dass der Teufel mitunter hinkend, mit einem Stelzfuss dargestellt wird, hängt mit seinem Sturz aus dem Himmel zusammen.

Der Stelzfuss war stets Sinnbild der endgültig verpatzen Lage. Da half kein Warten auf ein Wunder - ab ist ab. In diesem Sinne ist der Ausspruch des notorischen Atheisten Anatole France (1844-1924) zu verstehen, der sich über die Ex-Voto-Sammlung der Wunderstätte Lourdes moquierte: "Curieux! je ne vois pas une seule jambe de bois!" - komisch, kein einziges Holzbein.
Im gleichen Sinn ist das Sprichwort zu verstehen "un emplâtre sur une jambe de bois" - ein Verband über ein Holzbein, oder "un cautère sur une jambe de bois" - ein Medikament, das nichts ausrichten kann, ein sinnloses Unterfangen, ein Schlag ins Wasser.

Vorgestellt wird ein „Pilon des pauvres“ aus dem Pariser Vorort Levallois-Perret, ein Erinnerungsstück an den 1. Weltkrieg, ein Stelzbein für arme Leute, wie sie nach 1918 zu Tausenden hergestellt wurden. Dieser Typ der Beinprothese diente der Erstversorgung, und konnte angelegt werden, sobald die Amputationsnarbe einigermassen verheilt war. Der noch geschwollene und schmerzhafte Beinstumpf wurde bandagiert und in die Prothese (cône d'emboîtement) gesteckt. Nach Ablauf von 6 Monaten, wenn das Bein abgeschwollen war, konnte sich der Patient eine komplizierte, schwerere Prothese mit Kniegelenk herstellen lassen. Vielen Kriegsversehrten fehlte allerdings für eine derartige komplizierte Prothese schlicht und einfach ... das Kleingeld!
Das gute Stück [colonne de prothèse, bestehend aus dem "cône d'emboîtement" und dem eigentlichen Pflock, der "pièce terminale"] wurde aus Levallois-Perret, einem Vorort nordwestlich von Paris importiert.

Kuriosum: eine Zigarettenmarke trägt den Namen des tüchtigen Geschäftsmannes und Politikers Stuyvesant. Auf der ursprünglichen Packung wurde er mit seinem Holzbein dargestellt. Bei der Neulancierung der Marke wurde sein Bild durch den unproblematischeren roten Balken ersetzt - vielleicht wäre sonst der eine oder andere Raucher auf die Idee gekommen, Stuyvesant hätte ein Raucherbein gehabt...

Link zum "Deutschen orthopädischen Geschichts- und Forschungsmuseum" in Würzburg:
www.orthopaedie-museum.de/ueber_das_museum.html

Wer stilgerecht dinieren möchte, dem sei eine Reise nach Sachsen-Anhalt und ein Besuch im Restaurant "Zum Stelzfuß", Martiniplan 7, in D-38820 Halberstadt anempfohlen. 1576 erbaut mit einem Erkerturm, der auf einer Stelze steht, wurde das Haus am 8. April 1945 durch amerikanische Bomber in Schutt und Asche gelegt, nach der Wende stilvoll wiederaufgebaut. "Deutsche Küche" gefällig?

In Lüttich / Belgien, im Ortsteil Rocourt, erhebt sich ein Kriegerdenkmal für die Gefallenen der Revolution von 1830 - dies ausgerechnet am Ende einer Gasse, die "rue Jambe de Bois" heisst, [einer Abzweigung der "rue Sainte-Walburge" in der Ortseinfahrt von Rocourt]. In Heure-le-Romain / Provinz Lüttich gibt es ebenfalls eine Strasse "La Jambe de bois". Auch in Autun / Frankreich gibt es eine "rue de la Jambe de Bois": Beweise für die besondere Aufmerksamkeit unserer Vorfahren dem Holzbein gegenüber ...

Chirurgie


Stelzbein (4), Ansichtskarte 1911

 

 

Vorgestellt wird eine Ansichtskarte, aufgenommen auf der Promenade vor dem Stadthaus von Le Havre; ein Mann mit Holzbein, in Begleitung einer chiquen Frau. Zwei Männer drehen sich um und begaffen den Krüppel - verschämt fixiert der Fotograph das Motiv des hinkenden Mannes auf seiner Platte, als der Mann einen Moment zur Chaussée blickt, wo eine Pferdedroschke über das Kopfsteinpflaster rattert.


Auf der Rückseite der Karte: "Look the man with a wooden leg" - geschrieben von einem "Eugène" an "Miss E. Denham in Cowes /England am 23.5.1911.

Im Gegensatz zu seinem Leidensgenossen aus Mondorf benutzt dieser Mann zusätzlich Krücken !

 

Die Stadt Le Havre, 1517 als Kriegs- und Handelshafen an der Seinemündung gegründet, entwickelte sich schnell zu einem bedeutenden Zentrum, Sitz der Indienkompagnie und Zentrum, über den Ex- und Importe von und nach den USA liefen. 1538 Gründung eines Hospitals. Reich wurde die Stadt durch den Handel mit Kaffee und Baumwolle, aber auch durch ... den Sklavenhandel, der von 1716 bis 1793 florierte. Im 19. Jahrhundert wurde die Stadt zu einer Industriestadt. 1870 nahm die Stadt eine Reihe Industrielle aus dem Elsass auf. Im Stadtzentrum entstanden reiche Immobilien, Hotels, eine Börse, grösstenteils im protzigen Haussman'schen Stil erbaut, ein "Petit Paris". Im Hinterland Vororte, in denen sich die soziale Misere anstaute: Prostitution, Bettlerei, Gewalt; jede Menge sozialer Zündstoff also ! Die Stadt, die schon im 18. Jahrhundert von den "rouges" aufgescheucht worden war, wurde zur Hochburg der Kommunisten; sie wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert (ab 1886) von sozialen Unruhen geschüttelt ...

Ab 1830 wurde Le Havre zum mondänen Seebad, wo sich die Haute Volée von Paris umtrieb, Geld ausgab, Geld anlegte, viel Geld ! Maler, Künstler zog es in die Stadt. Dieses bunte Gemisch von Spekulanten, Touristen, Asozialen und Elementen der "bohême" erkennt man auf der Promenade vor dem Stadthaus wieder ...

 

Die Promenade vor dem Stadthaus von Le Havre versank im September 1944 in Schutt und Asche, als die Stadt von den Alliierten ausgebombt wurde nachdem sie als Stützpunkt für die Deutschen Truppen gedient hatte. Nach 1945 wurde die Stadt wiederaufgebaut - ein Eldorado für Betonarchitekten.

Chirurgie


Sterilisier-Gerät (4)

Sterilisator 2
 

 

Vorgestellt wird ein kleiner (17 x 8.5 x 4.5 cm im zusammengeklappten Zustand) Taschensterilisator, ein Geschenk von Dr. Fritz Teichner aus Wetzlar. Von dieser Stelle ein herzliches Dankeschön.

 

Man erkennt den Deckel (links im Bild) mit den beiden Griffen aus Porzellan - genau wie bei den grossen Standmodellen. Zwei Haken (auf dem Bild unter dem Kocher) dienen zum Entnehmen der Schale (auf dem Bild oben auf dem Kocher), auf der das Sterilisiergut lag. Zwei einklappbare Füsse. Keine Herstellerangaben. Der Spirituskocher fehlt, hat aber an der Unterseite des Kochers deutliche Hitzespuren hinterlassen.

 

Dieser Typ des Sterilisators geht auf den Chirurgen Curt SCHIMMELBUSCH zurück, weswegen ich das Gerät im Kapitel Chirurgie vorstelle, auch wenn diese kleinen Exemplare vielfach von Internisten benutzt wurden, um ihre Spritzen und Impflanzetten zu sterilisieren.

Chirurgie


Sterilisier-Gerät (5)

 

 

Aus dem Nachlass des ab 1913 in Clerf niedergelassenen Arztes Guillaume KOENER stammt das hier vorgestellte Alu-Kännchen, dessen Boden abnehmbar ist, mit drei Öffnungen, die mit einem Leinenstoff verdeckt sind.

Der 16 cm hohe Topf, mit einem Durchmesser von 8 cm, diente zum Auskochen von kleinen Gegenständen in heissem Wasser.

Chirurgie


Tupfer-Trommel (3)

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Curt SCHIMMELBUSCH (*16. November 1860 in Groß Nogath, Kreis Graudenz, Westpreußen; †2. August 1895 in Berlin) griff die Idee des Bakteriologen Heinrich Hermann Robert KOCH (*11. Dezember 1843 in Clausthal; †27. Mai 1910 in Baden-Baden) - die Sterilisierung durch strömenden heißen Wasserdampf - auf und entwickelte die später nach ihm benannte „Schimmelbusch-Trommel“, deren Einsatzkörbe es erlaubten, das Sterilgut bis zum Einsatz bei Operationen keimfrei zu lagern.

 

 

Exponat

Trommel aus dem Fundus des Arztes STEINER in Matrei a.Br.  Je 2 Schieber auf dem Boden und auf dem Deckel - keine seitlichen Öffnungen! Vermutlich 1930iger Jahre.

 

Keine Firmenangabe, nur eine Zahl (7015) - vermutlich eine Katalognummer.

 

Chirurgie


Sterilisier-Trommel (4) n. SCHIMMELBUSCH

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SCHIMMELBUSCH-Trommeln

 

 

Auf einen Schüler von Ernst v. BERGMANN (1836-1907) geht eine entscheidende Verbesserung in der Sterilisation zurück: 1889 entwickelte der Pathologe Curt SCHIMMELBUSCH (1860-1895) eine Blech-trommel, auf die alle heutigen Container zurückgehen. In diesen Trommeln konnten Instrumente und OP-Wäsche nahezu 100%ig sterilisiert werden. 

 

Er stellte seine Erfindung 1891 auf der „Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte“ in Halle (21.-25. September 1891) vor (Wiener med. Wochenschrift Nr.1 vom 2. Januar 1892).

 

SCHIMMELBUSCH griff das von Robert KOCH entwickelte Sterilisierungs-verfahren durch strömenden Wasserdampf auf und entwickelte den nach ihm benannten Sterilisationsbehälter, gen. "Trommel", dessen Einsatzkörbe es erlaubten, das Sterilgut (Verbandsmaterial, OP-Kleidung, Geräte) zuverlässig zu sterilisieren und bis zum Einsatz bei Operationen keimfrei zu lagern.

 

Prinzip der "Trommel": Löcher in der Wand des Behälters, die während der Sterilisation offen stehen, nach der Sterilisation resp. nach der Entnahme der Trommel aus dem Dampfsterilisationsapparat (Autoklav) manuell verschlossen werden.

 

Exponat

2 kleine Trommeln aus dem Fundus des aufgelassenen St. Elisabeth-Krankenhauses in  Luxemburg

 

Lit.:

 Curt Schimmelbusch: Anleitung zur aseptischen Wundbehandlung. Berlin 1892 (Nachdruck Saarbrücken 2007).

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