Innere Medizin


Sanatorien (1): Aufenthalt im Ausland

Ansichtskarte 1902: Liegeterrasse in Davos 

Am 5.4.1908 wurde die "Ligue luxembourgeoise contre la tuberculose" gegründet: treibende Kräfte waren die Ärzte Dr. FELTGEN und FLESCH sowie ein Nicolas Ludovicy. Erklärtes Ziel der Liga war es, durch vorbeugende und heilkundige Massnahmen die damals sehr gefürchtete Krankheit zu bekämpfen und durch freiwillige Geldspenden allen Unbemittelten den kostspieligen, jedoch unver- meidlichen Kuraufenthalt zu ermöglichen (Dondelinger).
Da das Land damals über keinerlei Unterbringungs- möglichkeiten für Lungenkranke verfügte, wurden die Betroffenen ins Ausland gebracht:
«Am Samstag fuhren 45 lungenschwache Kinder nach Bad Kreuznach zu einer einmonatigen Kur. Die Kosten werden von der Liga gegen die Tuberkulose getragen. In Begleitung der Kinder befinden sich der Sekretär der Liga, Hr. E. Hourscht und der Depisteur Hr. Schramm“ (Luxemburger Volkszeitung vom 4.9.1912).
Die Gradierwerke der Bad Kreuznacher Saline dienten einst der Gewinnung von Sole und Mutterlauge. Sie wurden 1732 bis 1742 unter dem Kurfürsten von der Pfalz erbaut und sind heute noch mit einer Länge von insgesamt 1100 Metern die größten funktionierenden Gradierwerke Deutschlands. Die an den Dornenwänden zerstäubende Sole macht das Salinental in Bad Kreuznach zum größten zusammenhängenden Salinen-Freiluft-Inhalatorium in Europa: Bad Kreuznach entwickelt sich rasch zur internationalen Kur- und Badestadt, wo Lungenkranke salzhaltige Luft einatmen konnten. 1843 wurde ein erstes Kurhaus in Betrieb genommen. Russische Großfürsten, amerikanische Millionäre und der deutsche Adel waren die ersten Gäste als 1911 das Bäderhaus eröffnet wurden. In den Sälen und Badestuben konnten sich die anspruchsvollen Gäste in "perlenden Heilbädern" bei "schottischen Wechselduschen" und "Kopflichtbädern" erholen. Der erste Weltkrieg setzte der hochherrschaftlichen Badekultur jedoch ein frühes Ende. 2000 erholte sich der Betrieb und erstrahlt heute in nie gewesenem Glanz.

Nach dem 1. Weltkrieg waren Aufenthalte in Deutschland für patriotische Luxemburger naturgemäss weniger beliebt. Umso fleissiger wurden nun Kinder nach der Schweiz verbracht, u. a. nach Davos und Leysin.

Schweizer Höhenluft gegen Tuberkulose
Jean-Jacques Rousseau hatte bereits 1764 die Alpenluft für Kuren empfohlen. Dabei war die Schweiz von alters her ein von der Tuberkulose heimgesuchtes Land: im Durchschnitt der Jahre 1901/02 war die Tuberkulose bei 57.2% der verstorbenen 15- bis 19-Jährigen und bei 48.1% der 20- bis 39-Jährigen die Todesursache. Um 1900 gingen ein Siebtel aller Todesfälle in der Schweiz auf das Konto der Tuberkulose! Das tat dem Mythos Schweiz = Gesundheit keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil!
Der Zürcher Bäderarzt und Medizinhistoriker Conrad MEYER-Ahrens wies 1845 auf die Erfolge von Dr. Luzius RÜDI mit an Tuberkulose oder «Skropheln» erkrankten Kindern im Hochtal von Davos hin. 1849 kam der Arzt Alexander SPENGLER (1827–1901) aus Mannheim als politischer Flüchtling - er war als Ultralinker steckbrieflich gesucht - in die Schweiz. Nach dem Medizinstudium in Zürich wurde er 1853 Landschaftsarzt in Davos und bemerkte dort, dass es unter den Einheimischen keine Tuberkulose gab. Er schlussfolgerte, dass ein Aufenthalt im Gebirge diese Krankheit auch heilen könnte. Unterschiedliche Therapieformen wurden ausprobiert: Spaziergänge auf Bergpfaden, Kaltduschen. Da SPENGLER die Tuberkulose anfangs als Ernährungsstörung ansah, ergänzte er die Behandlung durch Milchkuren. Trotz dieses falschen Ansatzes feierte SPENGLER ab 1865 bahnbrechende Erfolge.
1882 wies Robert KOCH die Ansteckungsgefahr bei Tb nach. War das Zusammenleben hunderter Tb-Patienten in Kurdörfern damit obsolet? Zwar liess die Gemeindeverwaltung Davos daraufhin schleunigst einen Abwasserkollektor bauen. Dennoch kritisierte der Arzt Karl TURBAN 1889 zurecht die hygienischen Zustände in Davos:
«Fiebernde und Blutspuckende wurden auf Bergspaziergänge geschickt; bei den regelmässigen Bierkonzerten im Kurhaus sangen die Kehlkopfkranken die Kommerslieder nach Kräften mit; bei Festlichkeiten in den Hotels tanzten schwerkranke Herren und Damen in betrunkenem Zustande die damals üblichen Tänze - und die Ärzte schauten zu».
Aus umherschweifenden Kranken wurden daraufhin Liegepatienten auf Terrassen...

Neben Davos wurden Arosa, Leysin und Montana ebenfalls Lungen-Kurorte von Bedeutung. Was war an der Davoser Luft so besonders? 1907 gründete Carl Dorno das Physikalisch-Meteorologische Observatorium Davos mit dem Ziel herauszufinden, warum Tuberkulose in Davos besser heilte als anderswo.

Berühmtheiten wie Christian Morgenstern, Thomas Mann, Alfred Henschke alias Klabund gehörten zu den Kurgästen der Schweizer Bergsanatorien. Insgesamt aber entstand eine morbide "Gesellschaft von Kranken". Die Gäste veränderten die sozialen Strukturen der einstigen Bergdörfer grundlegend - Hotels und Kurbetriebe schossen wie Pilze aus dem Boden. Die Anwesenheit zahlreicher jüdischer Patienten in Davos brachte gar den Bau (1931) eines jüdischen Friedhofes am Ort mit sich!

Anfangs hatte Dr. SPENGLER seine Patienten auf Spaziergänge und Klettertouren geschickt. Nach der TURBAN'schen Kritik aber hatte er die Kranken in sein Sanatorium zurückbeordert. Mit seiner "Davoser Liegekur” wurde er zum wahren Gründer des Höhen- und Lungenkurortes Davos. Vorgestellt wird eine Ansichtskarte, Davos 1902. Man sieht Kurgäste, die, vor Kälte bibernd, auf einer schneeumwehten Liegeterrasse ausharren: bis zu 10 Stunden am Tage dauerten diese Sessionen. Jeden Morgen wurden die Patienten in ihren aus einem speziellen Rattanrohr geflochtenen, mit Fellen belegten Liegebetten auf die großen hölzernen Balkone zur Südseite des Sanatoriums geschoben. ..




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Sanatorien (2): Aufenthalt im Ausland

Wandern im Schnee in Leysin 

In Arosa hatten die Lungenpatienten im Schnee ausharren müssen, in warme Decken eingehüllt, in Liegestühlen, die auf den Terrassen der Sanatorien aufgestellt waren. In Leysin fing der Fotograph eine noch dratischer Methode der Abhärtung ein: das Skilaufen mit nacktem Oberkörper, in Unterhosen!


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Sanatorien (3): Düdelingen

Frauensanatorium Düdelingen 

1912 besucht der luxemburger Arzt Dr. Ernest FELTGEN (1867-1950) mehrere Schweizer Heilanstalten im Auftrag der 1908 gegründeten „Liga gegen die Tuberkulose“. 1912 berichtete er der Regierung über diese Studienreise. Sanatorien entstehen nun auch in Luxemburg:

  • Feulen (1915), ein Männersanatorium
  • L.-Baumbusch (1919), ebenfalls ein Männersanatorium,
  • Düdelingen (1921), wo endlich auch Frauen Aufnahme fanden und schliesslich, nach der Schliessung der kleinen MännerSanatorien
  • Vianden (1931).

    Nach der Schliessung des Düdelinger Frauensanatoriums 1968 kamen die wenigen verbliebenen Frauen nach

  • Betzdorf




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Sanatorien (4): Suppenschüssel Düdelingen

Suppenschüssel Frauensanatorium Düdelingen, 1922 

1906 kaufte der Dudelinger Notar Oscar Thilges ein passendes Bauareal, um ein Schloss zu erbauen. Der Hausherr verschwand 1917 spurlos ...

Am 11.5.1917 wurde die ehemalige Thilges-Domäne verkauft, ein Waisenhaus sollte hier entstehen. 1917 schenkte die ARBED das Haus an die Gemeinde, bzw. Emile Mayrisch stellte der Gemeindeverwaltung von Düdelingen 160.000 F zum Erwerb der herrschaftlichen Villa zur Verfügung, unter der Bedingung, dort ein Alters- und Invalidenheim einzurichten (Ry Boissaux, Mäin Diddelenger Geschichtsbuch, Dudelange 1979 S. 76-79). Es dauerte bis 1921, bevor man sich dazu entschliessen konnte, das wertvolle Gebäude einer neuen Nutzung zuzuführen.
Ende 1921 konnte die "Ligue antituberculeuse" das Anwesen von der Gemeinde anmieten und hier die Errichtung eines Sanatoriums planen. Als der Praesident dieser Organisation, Dr. FLESCH, 1921 starb, gab man dem in Planung befindlichen Sanatorium den Namen dieses verdienten Mannes.

Der Médecin-Inspecteur, das Collège médical befürworteten das Projekt. Am 16.3.1922 gab der Generaldirektor der Justiz, der zugleich für die medizinischen Belange des Landes zuständig war, seine Erlaubnis, das Sanatorium einzurichten, ein "hospice à interner des femmes atteintes de tuberculose". Zwei Ordensschwestern wurden ins Ausland geschickt für eine Sonderausbildung in Tb-behandlung, am 31.8.1922 liessen sich die Franziskanerinnen im Thilges-schloss nieder - in Erwartung der Patientinnen der Anti-Tuberkulose-Liga.

Erster ärztlicher Leiter des Hauses wurde Dr. JACOBY aus Düdelingen, der zuvor im Ausland Spezialstudien über Tuberkulose absolviert hatte. Er starb im April 1952. Ab Juli 1952 finden wir als ärztliche Leiterin der Anstalt Frau Dr. Mangen-KLEIN, die in Leysin ausgebildet worden war. 1968 wurden die letzten Patientinnen nach Betzdorf verlegt, das Haus wurde in das Gymnasium der Stadt Düdelingen integriert...




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Sanatorien (5): Feulen

Liegehalle des Sanatoriums Feulen 

Besonders günstige Fälle geschlossener Tb konnte man zur beschleunigten Wiederherstellung der Gesundheit und der Erwerbsfähigkeit in ländliche Krankenhäuser überweisen (Bettendorf, Redingen, Clerf, Mersch...). Für Patienten mit offener Tb aber kamen solche Räumlichkeiten nicht in Betracht. Da entsann man sich des kleinen Dorfes Feulen, wo die "Missions Etrangères de Paris" (MEP) von 1904-11 eine "maison de repos" unterhalten hatten, geleitet von dem aus Bar-le-Duc stammenden Père Léon-Joseph HOLHANN (1851-1926).

Der Plan, in Feulen ein Sanatorium einzurichten, wurde als Notbehelf zurückbehalten, es sollte vorübergehend den infolge der Zeitumstände unentbehrlichen Ersatz schaffen und bei Eröffnung des von der Liga gegen die Tuberkulose in Aussicht gestellten Wiltzer Sanatoriums ausser Dienst gehen.
Ein in der Nähe von Niederfeulen gelegenes Haus mit Parkanlagen wurde von fachmännischer Seite als brauchbar anerkannt und am 15.7.1915 von der Alters- und Invalidenversicherung angemietet. Am 19.10.1915 wusste das "E.T." zu berichten:
"Die Installation und Möblierung des hiesigen Sanatoriums gehen nunmehr ihrer Vollendung entgegen. Die höher gelegene, schmucke und geräumige Liegehalle, in welcher tagsüber etwa 20 Lungenkranke Luftkur machen können, fällt den Passanten an der Ettelbrücker Straße von Weitem auf. Ordensschwestern besorgen die Haushaltung. Der leitende Arzt wird Herr Dr. SCHUMACHER aus Ettelbrück sein".

Mit einem Kostenaufwand von 50.000 Franken wurde eine Liegehalle angebaut; die sanitären Einrichtungen im Hause wurden erneuert, das Haus für die Aufnahme von 20 Lungenkranken umgebaut. Am 25.10.1915 konnte das Sanatorium Feulen eröffnet werden.

Das Anwesen wurde am 4.3.1920 von der Alters- und Invalidenversicherung gekauft, obschon bereits an Nachfolgesanatorien geplant wurde: das Sanatorium schloss seine Tore, als 1931 das grosse Sanatorium in Vianden eröffnet wurde. Das imposante Patrizierhaus in Feulen stand nun leer - bis 1947!




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Sanatorien (6): Anstalt im Baumbusch

Sanatorium Baumbusch 

Schon während der ersten Generalversammlung der Antituberkuloseliga vom 5.4.1908 finden wir die Erwähnung eines Projektes, ein Lungensanatorium zu errichten. Ein erstes Sanatorium entstand in Feulen. Als Ersatz für das nicht zustandegekommene Sanatorium Wilz wurde 1917 der Bau eines Sanatorium im Baumbusch beschlossen, einem geschlossenen Wald an der Nordwestflanke der Stadt Luxemburg.
Zwei Holzbaracken wurden 1918 von Köln bezogen:
"alle Wände, Türen, Böden und Fenster langten fertig und numeriert auf Bahnhof Luxemburg an und brauchten nur gemäss den Aufzeichnungen eines beigefügten Planes aufgestellt zu werden. In einigen Monaten stand das Sanatorium fix und fertig" ("Soziale Republik" vom 22.4.1924).
Die eine Bracke mass 30, die andere 25 Meter Länge, die Breite der beiden Bauten betrug jeweils 9 Meter: Gesamtgestehungspreis 70.000 Franken. Dazu wurde eine geräumige Liegehalle völlig neu errichtet:
"baraquements établis d'abord dans un autre but, ensuite transformés en service sanatorial" (Verein für Volks- und Schulhygiene, Jubiläumsnummer 1929, S. 115).

Ursprünglich waren die Baracken als Wohnbaracken gedacht gewesen, die Versicherungsanstalt liess die Anlage nun ausbauen und ihnen eine Liegehalle angliedern. Dieses von Anbeginn als Provisorium gedachte Sanatorium wurde im Frühjahr 1919 eröffnet (In dem Artikel Das Sanatorium Baumbusch in: Luxemburger Illustrierte no. 37, 1925 ist fälschlich Mai 1920 angegeben):
"Am Sonntag den 6. April 1919 wurde in aller Stille das Sanatorium im Baumbusch eröffnet. Es wurde vor ca. 9 Monaten erbaut und besteht aus 2 grossen Holzbaracken, welche fix und fertig von Köln bezogen wurden. Die eine Baracke hat eine Länge von 30 Metern, und die andere eine solche von 25 Metern auf einer Breite von 9 Metern. Sie kosteten zusammen ca. 70.000 Francs. Das Ganze ist Eigentum der Alters- und Invalidenkassen. Im ganzen befinden sich 22 Betten in 2 Sälen. Ein grosses Feld auf 50 m Entfernung, welches die luxemburger Stadtverwaltung während der Kriegsjahre bebaute und ein neuerstandener Garten im Mühlenbach werden die notwendige Gemüse und Kartoffeln liefern. Zur Zeit ist man mit der Herrichtung eines bequemen Fuhrweges beschäftigt, der vom Hause des städtischen Försters gegenüber der Faiencerie quer durch den Wald in die alte Kopstalerstrasse mündet" (Luxemburger Zeitung).

Das "Luxemburger Wort" interessierte sich vor allem für die Sanatoriumskapelle und berichtete in seiner Ausgabe vom 7.4.1919, dass am Sonntag den 6.4. die Kapelle im Beisein von Herrn Kauffmann, Präsident der Unfallversicherung, eingeweiht worden war und ein erstes Messopfer stattgefunden hatte. Jugendpräses Hartmann hatte das Amt gefeiert und "in einer begeisterten Ansprache auf die Bedeutung und den Segen des katholischen Gotteshauses" hingewiesen.

Das Haus fand Anklang, vor allem bei den Gesunden:
"Viele Spaziergänger fanden sich gestern nachmittag im Sanatorium ein, und alle waren voll des Lobes für die von der Unfallversicherung getroffene Einrichtung. Heute 8. April werden die ersten Kranken hier einziehen. Einstweilen sollen 10 Personen untergebracht werden" (L.W. vom 7.4.1919).

Mit der Eröffnung des grossen Sanatoriums in Vianden im Jahre 1931 war Schluss im Baumbusch. Als sich kein Käufer fand, riss man die Baracken 1931/32 ab.




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Sanatorien (7): Sanatorium Vianden

Liegeterrasse in Vianden 

In Vianden zugelassen waren Luxemburger und im Lande obligatorisch versicherte Fremdarbeiter ab dem 16. Lj., wenn eine floride Lungentuberkulose festgestellt war. Andere Tb-formen wie Nieren- und Genitaltuberkulose wurden nach wie vor in ausländische Sanatorien und Spezialkliniken wie Leysin in der Schweiz überwiesen.
Im Jahre 1932 wurden 427 Kranke im Sanatorium behandelt, von denen 296 als geheilt entlassen wuden. Das Innere Reglement des Hauses zwang die Patienten zu äusserster Vorsicht:
« Tous les malades doivent se servir d’un crachoir de poche, conditio sine qua non pour éviter la propagation du mal. Nous ajoutons que les malades ne sont cependant pas soumis à un régime de caserne, qu’il est tenu compte dans la mesure du possible de leur état et que le personnel fait montre d’une grande bienveillance à leur égard » (L’Indépendance luxembourgeoise vom 27.2.1934).

Es wurden jährlich an die 130 Patienten neu aufgenommen - in der Regel Tb-Kranke. Vereinzelt erfolgte die stationäre Aufnahme wegen nichttuberkulöser Erkrankungen:
"Sept des 123 malades présentaient une affection pulmonaire non tuberculeuse: 1 sclérose pulmonaire non tbc, 1 pneumonie atypique, 1 pneumonie chronique avec abscédation, 1 cancer bronchique, 1 cancer pulmonaire métastasique, 1 insuffisance cardiaque, 1 abscès pulmonaire" (aus: La situation sanitaire en 1954 et 55, Luxemburg 1957 S. 19).

Ein ungelöstes Problem war die mangelnde Disziplin der Patienten, deretwegen eine allzu grosse Anzahl von Heilverfahren vorzeitig abgebrochen wurde:
"Le gros ennui reste toujours l'indiscipline: après quelques mois de traitement, sitot leur état général amélioré, les uns insistent pour rentrer à domicile; un autre groupe, d'ordinaire des alcooliques, finissent après de multiples exhortations, à se faire congédier par mesure disciplinaire" (aus: La situation sanitaire en 1954 et 55, Luxemburg 1957 S. 23).

"6 malades BK pos [!] ont été congédiés par mesure disciplinaire pour manquement grave à la discipline: ivresse répétées, sorties nocturnes etc" (aus: La situation sanitaire en 1956, 57 et 58, Luxemburg 1959 S. 22).




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Sanatorien (8): Düdelingen

Kindersanatorium 

Emile MAYRISCH (1862-1928) hatte 1894 Aline De Saint-Hubert (1874-1947) geheiratet und wohnte mit ihr ab 1897 [als Schmelz-Direktor] im "Alten Schloss" in Düdelingen. Zwei Kinder, von denen das Erstgeborene (Jean) 1899 im Säuglingsalter starb ...
Am 30.10.1911 wurde die ARBED gegründet - MAYRISCH liess sich im gleichen Jahr auf dem Kreuzberg ein neues "Schloss" errichten, da die alte Wohnung durch die jahrelangen Vibrationen der Schmelz angeblich unbewohnbar geworden war. 1920 passte auch diese Wohnung nicht mehr: das Paar zog nach Colpach und liess das geräumige "Neue Schloss" auf dem Kreuzberg zu einem Kinderheim umbauen.

Die "Maison des Enfants" wurde am 1.2.1921 eröffnet. Das Heim war den schwächlichen und erholungsbedürftigen Kindern der Arbeiter und Beamten der ARBED-Werke zugedacht - die als tuberkulosegefährdet galten. Auch soziale Gründe konnten zur Aufnahme eines Kindes führen. Die Aufnahmegesuche muβten vom Familienarzt ausgestellt werden, der Eintritt in das Kinderheim konnte erst nach erfolgter Schutzimpfung gegen Diphtherie sowie nach einer Röntgenuntersuchung stattfinden.
- ein Hauptgebäude enthielt groβe, luftige Schlafsäle und freundlich durchsonnte Eβzimmer sowie Spielräume. Hier waren auch ein Schulklassenraum, das Isolierzimmer, ein Wintergarten, Duschen sowie ein Zimmer mit Ultravioletter Lampe untergebracht.
- eine geräumige Liegehalle lud zur Mittagsruhe ein. Auf der Liegeterrasse konnten die Kinder die gesunde Luft einatmen, die hier auf 300 M.ü.M von den umliegenden Wäldern herüberwehte,
- in genügender Entfernung von dem Hauptbau befanden sich Wirtschaftsgebäude zur Aufnahme von regelrecht tuberkulosekranken Kindern mit einer Liegehalle:
"Eine weitere großartige Gründung besteht in Düdelingen auf dem Kreuzberg, Die Gesellschaften Arbed und Terres Rouges haben in der früheren Wohnung des Hrn. General-Direktors ein Kinderheim gegründet. Zur Aufnahme kommen Kinder bis zu 12 Jahren; schwächliche Kinder und solche aus den Familien, wo sich Tuberkulosekranke befinden, um sie der Ansteckungsgefahr zu entziehen; in genügender Entfernung von dem Hauptbau sind die Wirtschaftsgebäude zur Aufnahme von tuberkulöskranken Kindern installiert; die kleinen Kranken haben dort eine prächtige Liegehalle. Gegenwärtig sind beide Anstalten voll besetzt mit einer Zahl von nahezu 70 Kindern, wovon 13 Tuberkulose. Die Leitung, Installierung, Verpflegung und Krankenpflege ist als eine musterhafte zu bezeichnen, auch sind dementsprechend die erzielten Resultate ausgezeichnet. Die Liga schickt auch jährlich viele schwächliche Kinder zu den Schwestern nach Bettendorf in Pflege, wo ebenfalls günstige Resultate erreicht worden sind" (Rapport du médecin-inspecteur, Memorial n° 45 vom 10.6.1922).

Vorgestellt wird eine (seltene) Ansichtskarte, erworben 2008 bei Delcampe von einem Händler in Pressburg (Bratislava). In Reih und Glied ruhen die tuberkulösen Kinder in der Liegehalle und atmen die frische Landluft ein ...




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Scharlatanismus (1)

De BLEGNY, 1699 

Vorgestellt wird eine Rezeptsammlung - Produkt langjähriger Recherchen des berühmt-berüchtigten Pariser Arztes Nicolas De BLEGNY (1646-1722). Am Fall BLEGNY wird deutlich, dass auch ein promovierter Arzt ein "Scharlatan" sein kann, dann nämlich, wenn er seine Stellung dazu benutzt, vor allem sich selber ins Licht der Öffentlichkeit zu stellen, anstatt primär seinen Patienten helfen zu wollen ...

De BLEGNY kam 1646 in Chaumont-en-Bassigny zur Welt als Sohn eines Apothekers. 1674 wurde er selber Apotheker. In Paris wurde er Schüler am "Collège des chirurgiens" von Saint-Côme, und wurde Hilfschirurg in der Armee. In Paris eröffnete er eine Manufaktur für Bruchbänder. 1676 kaufte er das Amt des Chirurgen der "Prévôté de l'Hôtel du Roi" (unter der "Prévôté de l'Hôtel du Roi" verstand man ein Tribunal, das alle zivilen Delikte ahndete, die innerhalb der königlichen Gebäude, d.h. beim Hofpersonal stattgefunden hatten. Zu diesem Tribunal gehörten u.a. ein Arzt, ein Chirurg und zwei geschworene Matronen) - der Beginn einer wundersamen Chirurgen-Karriere:

  • 1679 Chirurg der Königin Marie-Thérèse d'Autriche, Ehefrau von Louis XIV, [erinnern wir daran, dass 1664 der berühmte Charles-François FELIX de Tassy (1635-1703), und 1680 der nicht weniger berühmte Pierre DIONIS (1643-1718) diesen gleichen Titel tragen durften, und ein Heer von 9 Medizinern sich um das laufende Wohl der Königin kümmerte: 1 Premier Médecin de la Reine, 1 Premier Chirurgien de la Reine ou chirurgien du corps, 2 Chirurgiens ordinaires de la Reine, 1 Premier Apothicaire du corps de la Reine, 1 Médecin du commun de la Reine, 2 Chirurgiens du commun de la Reine, 1 Apothicaire du commun de la Reine] ... Der Titel des "chirurgien de la Reine" war somit eher ein Ehrentitel.
  • 1680 Chirurg von "Monsieur", dem Bruder des Königs,

    Das reichte dem ehrgeizigen Manne nicht: nicht als Chirurg wollte er alt werden, sondern als Arzt. 1682 wurde er Doktor der Universität Caen und arbeitete kurze Zeit als Gerichtsmediziner. Doch drängte es ihn in die grosse Öffentlichkeit - er wollte möglichst nach ganz oben:

  • 1683 Médecin ordinaire de Monsieur (Duc d'Orléans),
  • 1687 Médecin du Roi (Louis XIV). Stolz konnte er sich jetzt "médecin artiste ordinaire du Roy & de Monsieur" nennen - ein sozialer Aufstieg sonder gleichen, den er zweifelsohne den Intrigen seines Freundes und Schutzherrn, des Ersten Hofarztes Antoine DAQUIN (um 1620-1696) verdankte, der (zufällig?) in der gleichen Strasse wohnte wie BLEGNY, in der rue Guénégaud.



    Immer weiter drängte es BLEGNY in die Öffentlichkeit:

  • er begann, Konferenzen für die Medizinstudenten von Paris zu organisieren,
  • rue de Guénégaud eröffnete er ein Chemielabor, einen Brillenladen, ein Kaffeegeschäft,
  • am Quai de Nesle verkaufte er seine Mittelchen in einer Apotheke: "Le Chocolat en masse, dégraissé suivant la Doctrine de l'Auteur"; "Les Cassolettes Royales à feu de Vin inventées par l'Auteur" - ein Verdampfer für Parfums; "Le caffé en poudre préparé dans la nouvelle Machine inventée par l'Auteur". Kaffee war - auch unter Medizinern - ein heiss diskutiertes Thema: nach einigem Zögern trank der Hof von Versailles das "lait cafeté" des Arztes Pierre ALLIOT - der gleiche, der den Brustkrebs der Königin mit seinen arsenhaltigen kaustischen Salben traktierte - Kaffee als Schlüssel zu den Palästen der Oberen 10.000 ...

    Er schrieb
    De BLEGNY war von Anfang an besessen, zu schreiben, über alles mögliche - Hauptsache, sein Name wurde publik:

  • Observations curieuses et nouvelles sur l'art de guérir la maladie vénérienne, ou grosse vérolle. Et les accidens qu'elle produit dans tous ses degrez, expliquez par les principes de la Nature, les actions & les effets du Mercure, & de ses autres remèdes. Où l'on découvre sur le même sujet les erreurs de quelques Autheurs, & les plus insignes tromperies des Empirics, des Charlatans, & généralement des ingnorans & des imposteurs, Paris, chez l'Autheur (1673, 1674, 1677), La Haye (1683), Lyon (1692), Amsterdam (1696).
  • L'art de guérir les hernies & Décentes de toutes espèces dans les deux Sexes, avec le Remède du Roy, les Bandages de la Manufacture Royale & divers autres Remèdes expérimentez. Paris, chez l'Auteur, 1676, un vol. in-12 de pp. (36) 270 (30), 3 figures dans le texte gravées sur cuivre. Paris (1693).
  • Histoire Anathomique d'un Enfant qui a esté vingt-cinq ans dans le ventre de sa Mère, avec des réflexions qui en expliquent tous les Phoenomènes, Paris chez Laurent d'Hourry (1676, 1679), Heft, London (1680) in engl. Übersetzung.
  • Le remede anglois pour la guerison des fievres: publie par ordre du roy : avec les observations de Monsieur le premier medecin de Sa Majeste, sur la composition, les vertus, & l'usage de ce remede, A Paris : Chez l'autheur ... et [chez] la veufve d'Antoine Padeloup ..., 1680, 1681, 1682. 152 p. : 1 ill.; 16 cm, Bruxelles (1682),
  • Nouvel abbrégé d'Ostéologie pour servir de memorial aux Etudians, cahier,
  • Lettre de Monsieur de Blegny ecrite à M. Maszard sur son Traitté des Panacées (Paris, 3 août 1681.- Extrait du Journal de Medecine du mois d'Aoust 1681.- Réponse de M. Massard.- Discours sur l'établissement de l'Académie des Nouvelles Découvertes de Médecine)
  • Le Messager céleste, contenant toutes les Observations qui ont esté faites dans les Astres depuis l'invention des lunettes d'approche, avec les utilitez qu'on en peut tirer pour la Pratique de la Médecine, Paris (1681),
  • Le bon usage du thé, du caffé et du chocolat pour la préservation & pour la guérison des maladies. Paris (1681), Lyon, chez Thomas Amaulry (1687), 362 Seiten, Titelblatt von Bouchet.
  • La connaissance certaine et la prompte et facile guérison des fièvres, Paris (1682),
  • La doctrine des rapports de chirurgie fondée sur les maximes d'usage & sur la disposition des nouvelles Ordonnances, Lyon (1684),
  • Secrets concernant la beauté et la santé, recueillis et publiez par ordre de Monsieur Daquin, conseiller du Roy en ses Conseils & Premier Médecin de Sa Majesté, par M. de Blegny, Conseiller, médecin ordinaire de Monsieur & Directeur de la Société Royale de Médecine, à Paris chez Laurent d'Houry et Denis Nion (1688-1689).

    Der 1624 erschienene, 5bändige "Grand dispensaire médicinal" des "Conseiller et Médecin du Roi" Jean de RENOU - die Bibel der französischsprachigen Apotheker - verzeichnete eine Unzahl von Rezepten und erklärte deren Zubereitung - Sie ahnen den daraus resultierenden Missbrauch: die Selbstmedikation artete zur weitverbreiteten Unsitte aus, bei Hof ebenso wie beim gemeinen Volk. 1641 erschien in Ulm die "Chymische Apotheke" des Arztes Johann SCHROEDER (1600-1774) - die Bibel der deuschsprachigen Apotheker. Welche der Mixturen aber half wirklich? Wie stand es um die Einflüsse der Astrologie beim Einsammeln der Heilpflanzen, bei der Zubereitung der Rezepte? Der Pariser Apotheker und Mitglied der "Académie des Sciences" Claude Bourdelin (1621-1699) schlug 1667 vor, alle je veröffentlichten Rezepturen zu sammeln und sie in den Pariser Kliniken an Patienten zu testen - die Klinikchefs weigerten sich! Dafür wurden umso fleissiger Rezepte gesammelt, und kritiklos kompiliert, immer ohne Erklärungsversuche für die beobachteten Effekte, oft ohne Angaben zur Dosierung der Inhaltsstoffe. In diese fruchtlose Tradition reiht sich auch unser De BLEGNY ein ...
    De BLEGNY tut in seiner Rezeptsammlung (frz. "médicinaire") so, als habe er von DAQUIN den Auftrag erhalten, mit Hilfe einer "Commission Royale" (S. 154) den medizinischen Fortschritt seiner Zeit zu dokumentieren:
    "Monsieur de Blégny Médecin Artiste & Directeur de notre Société, qui a eu l'honneur d'estre préposé suivant les intentions du Roy par Monsieur de Premier Médecin de sa Majesté à la recherche & vérification des nouvelles Découvertes de Médecine". In Wirklichkeit beschaffte er sich, wie auch immer, die Rezepte seiner Konkurrenten, und publizierte sie - ohne Angabe der Quelle. Wie affrontiert er vorging, beschreibt er selber in einem Passus über Orvietan: er scheute sich nicht einmal, Taufpate bei Kindern seiner Opfer zu sein, um sich deren Vertrauen zu erschleichen ... In seiner Qualität als (selbsternannter) oberster Hüter der Medizin sah er es als seine Pflicht an, die Kenntnisse über ein Allheilmittel für die Nachwelt zu erhalten, des Orvietan: er erschlich sich die Freundschaft des letzten Inhabers des Originalpatentes, des Gauklers Hieronymus CAEI, um im September 1682 schliesslich in den Besitz des "wahren" Patentes zu gelangen (S. 151/152).
    Andere behaupteten, im Besitz des wirklich echten Patentes zu sein: so handelte, parallel zu De BLEGNY, eine Familie CONTUGI mit Orvietan - auch sie mit einem königlichen Privileg ausgestattet.
    https://www.bium.univ-paris5.fr/sfhad/vol2/art10/corps.htm

    Klassiker findet man, wie Therik von Venedig (S. 32), Mithridate (S.70), "confection d'Alkermes", "râclure de crâne humain" (S.236) und "Mumie" (S,441) aber auch Neuheiten wie "Gayac" (S.134) und "Herbe de Tabac" (S.667). Neben diesen galenischen Rezepturen finden wir eine Reihe chemischer Medikamente. Der Aufschwung, den die Chemie durch das revolutionäre Wirken des Paracelsus im 16. Jahrhundert genommen hatte, führte im 17. Jahrhundert zur Errichtung der ersten Professur für Chemie (Marburg 1609) und zur Planung eines ersten chemischen Laboratoriums (A. Libavius). Mit dem Erscheinen des Werkes »The Sceptical Chemist« (1661) von Robert Boyle (1627-1691)setzte sich das empirische und rationale Denken in der Chemie durch. In Medizinerkreisen wurde Chemie ab dem 16. Jahrhundert ganz allmählich salonfähig. Insbesondere das Antimon fand in mehreren Formen Eingang in die Materia medica. Der "Antimonkrieg" (1566-1666) war entschieden zugunsten der chemischen Heilmittel, und mehrfach erwähnt De BLEGNY Rezepturen mit Antimon/ "Cinabre d'Antimoine" (S.51), "verre d'Antimoine" (S.51), "Antimoine minéral" (S.136), "Teinture d'Antimoine" (S.169), "Vin émétique" (S.146).

    Es versteht sich von alleine, dass De BLEGNY in seinen "Secrets" nicht mit Selbstlob geizte: "L'Eau hystérique que j'ay inventée" (S. 690). Schönheit wird in diesen Texten gleichgesetzt mit Gesundheit! De BLEGNY's Rezepte zum Erhalt der Schönheit fanden alsbald einen Nachahmer in der Person von Nicolas LEMERY (1645-1715), Arzt, Apotheker und Chemiker, den De BLEGNY in seinem Buch zitiert (S.36). LEMERY gab 1692 ein "Recueil de secrets, divisé en deux parties : la première concernant la conservation de la santé et de la beauté, la seconde concernant les arts, et les maladies des animaux" heraus. LEMERY tauschte lediglich die Reihenfolge: aus "Schönheit und Gesundheit" machte er "Gesundheit und Schönheit". Eine weitere, erstaunliche Parallele: LEMERY hatte 1683 in Caen zum Doktor der Medizin promoviert, ein Jahr nach De BLEGNY ... Bei wem hatten die beiden Medizinische Vorlesungen gehört? Etwa bei Nicolas Postel (1612-1686), der Dekan und Professor der Medizin war?

    BLEGNY erster privater Verleger einer medizinischen Zeitung
    Die von 1679 bis 1681 monatlich erschienene Zeitschrift "Nouvelles découvertes dans toutes les parties de la médecine" stiess auf ein europaweites Interesse:
    - in Deutschland (Hamburg) erschien sie unter dem Titel "Monatliche Neueröffnete Anmerckungen",
    - in der Schweiz (Genf) erschien sie von 1680-85 in Lateinischer Übersetzung [(übersetzt durch den Arzt Théophil Bonnet (1620-1689)] "Zodiacus medico-gallicus sive Miscellaneorum medico-physicum gallicorum titulo recens in re medica exploratorum, Genève, L. Chouet".
    In Frankreich wurde die Zeitschrift 1682 wegen unqualifizierter Angriffe auf den Dekan der medizinischen Fakultät von Paris vom "Conseil privé du Roi" verboten, worauf sich BLEGNY in den Niederlanden nach einem Verleger umsah - Amsterdam war seit jeher ein "refugium peccatorum", wo die Drucker nur darauf warteten, alle im Ausland unerwünschten Texte zu drucken. In Amsterdam tat sich BLEGNY (brieflich) mit einem (protestantischen) Arzt aus Niort zusammen, Dr. Abraham GAULTIER (1650-1720), der ab Februar 1684 ganze zwei Ausgaben einer neuen Zeitung "Mercure sçavant" realisierte, bevor auch dieses Unterfangen "in die Hose" ging ...

    De BLEGNY sattelte um und gab (unter dem Pseudonym Abraham Du PRADEL) das erste Pariser Firmenverzeichnis weltweit heraus - an Erfindergeist mangelte es ihm wahrlich nicht:

  • 1690 - Le Livre commode des adresses. Tresor des Almanachs, Paris,
  • 1691 - Les adresses de la Ville de Paris avec le Trésor des Almanachs, Paris, Vve D. Nion,
  • 1692 - Le livre commode contenant les adresses de la ville de Paris et le trésor des Almanachs, Paris, Vve D. Nion. Dieses Buch wurde auf Grund von Klagen von Personen, die (ungefragt) im Buch erwähnt waren, wegen "Indiscrétion" im Februar 1692 beschlagnahmt: 2.500 Exemplare, die noch bei Witwe Nion lagen wurden kurzerhand auf Befehl der Justiz vernichtet.

    - Seit Jahren leitete De BLEGNY im Herzen von Paris ein medizinisches Dampfbad, von dem wir in seinen "Secrets" lesen: "C'est au mesme lieu [place du Collège des quatre Nations] que sont les Etuves Medicinalles inventées par l'Auteur, lesquelles sont d'un très-grand secours à ceux qui ont les nerfs affoiblis & les membres paralytiques & particulèrement à ceux qui souffrent les douleurs de la Goutte, des Rhumatismes & des Maladies galantes, par cette raison qu'on y transpire aussi abondamment que commodément à la vapeur d'une décoction composée selon la nature du mal, en sorte qu'on y est baigné sans estre dans l'eau & qu'on y suë sans estre à sec, pour n'avoir pas la poitrine affoiblie & le ventre resserré, comme dans les Estuves ordinaires & pour n'estre pas énervé comme dans les Estuves communes, ce qui les rend préférables à la Boue de Barbotan, à la Douche de Bourbon & aux Eaux mercurielles de Sainte Reyne".
    - 1690 eröffnete er in der “grande rue de Pincourt” (jetzt rue de la Folie-Méricourt im XI. arrondissement von Paris) eine private Krankenanstalt, mit grossen Gärten und einem botanischen Garten. Dass in diesem Hause sehr unterschiedliche Pathologien behandelt wurden, ersieht man aus den Tarifen, die zwischen 20 sols und 6 livres pro Tag variierten. Zum einen wurden Geisteskranke aufgenommen - Frankreichs erste private Irrenanstalt! In einem separaten Pavillon wurden Frauen diskret entbunden. Angeschlossen war eine medizinische Bibliothek, in der sich die Mitglieder seiner privaten Akademie, der "Société Royale de Médecine" trafen. Ob hier nur diskutiert wurde scheint fraglich! Wer besonders hoch klettert, fällt besonders tief:

  • 1693 fiel sein Mentor DAQUIN in Ungade bei Hof, als er mit allzugrossem Eifer einen hohen kirchlichen Posten für seinen Sohn anstrebte;
  • als dem König im gleichen Jahre 1693 zugetragen wurde, dass das Irrenhaus von Pincourt nichts anderes war als ein Haus der Orgien und sexuellen Exzesse (eine Intrige die nur auf dem Hintergrund der Absägung DAQUIN's zu verstehen ist), als er (angeblich) ohne Erlaubnis bauen liess ... und eine seiner Konferenzen als unmoralisch und antireligiös eingestuft wurde (zuviel ist zuviel), da fiel auch unser De BLEGNY: er wurde am 4.6.1693 in Haft genommen und erst in Fort l'Evêque, dann im Schloss von Angers eingekerkert. Als er nach 8 Jahren freigelassen wurde, zog er nach Avignon, wo er eine bescheidene medizinische Praxis eröffnete, und vom Verkauf von Zündhölzern lebte. Er starb 1722 in Armut und Elend ...

    Zur Zeit seiner Verhaftung scheint er völlig übergeschnappt zu sein, mit einer Pubikation, die durchaus im Zusammenhang mit seinem angeblich so anstössigen und "unreligiösen" Vortrages gesehen werden kann:

  • Projet de l'histoire générale des religions militaires et des caractères politiques et séculiers de chevalerie, par messire Nicolas de Blégny, Paris, chez Mazuel, (1694)

    Auf diesem abenteuerlichen Hintergrund ist der vorliegende Nachdruck seiner Rezeptsammlung umso erstaunlicher: seit 1693 sass De BLEGNY im Gefängnis - da bringt 1699 der Pariser Buchhändler "Charles Osmont, ruë S. Jacques, au coin de la ruë de la Parcheminerie, à l'Ecu de France" eine Neuauflage seines Buches auf den Markt "De l'Imprimerie de la veuve d'Antoine Chrestien, demeurante au mont Saint Hilaire": liest man im Vorspann der "Secrets" das Königliche Privileg vom 19.September 1687, so sieht man, dass der Autorenschutz damals exakt 6 Jahre währte: dass die Ausgabe von 1699 in der Tat ein Nachdruck und nicht eine verbesserte Neuauflage war, verrät die Tatsache, dass mit keinem Wort erwähnt wird, dass Antoine D'AQUIN "seigneur de Chasteau-Regnard, Saint Firmin, Villeregis, Livry, Colladon, Comte de Jouy & autres lieux" - dem das Buch gewidmet war - seit 3 Jahren tot war.

    Der Nachdruck belegt das grosse Interesse an seinen "Geheimen Rezepten". Band 1.2 der 1699'er Ausgabe gehört übrigens zu den Büchern, die kriegsbedingt an der Leopoldina-Bibliothek von Halle verloren gingen, und von denen kürzlich eine ganze Reihe in den Kellern der Universitätsbibliothek Tiflis/Georgien wiedergefunden wurden - mit dem Stempel der Leopoldina. Ein solcher Stempel fehlt in unserem [im August 2008 in einem Antiquariat in Aix-en-Provence erworbenen] Exemplar: es handelt sich folglich nicht um ein "Beutebuch" ...

    Zur Materia medica des 17. Jahrhunderts
    Chatelier, Anne, La thérapeutique au 17e siècle : étude de 89 recettes manuscrites médicinales. Université de Nantes 1999.
    Dorat, Antoine, Recueil de recettes médicales et vétérinaires, Archives départementales de l'Allier, FR AD 03, E 789 (ancienne cote : E 793).
    Kersaint-Gilly, Astrid de, Etude de recettes médicinales d’un manuscrit du 17e siècle. Université de Nantes 1999.
    Weber, Armand, Recettes médicales extraites d'un manuscrit du XVIIe siècle conservé à Verviers, chez M. Thone, 1898

    Sekundärliteratur
    Tellier, Pierre-Jean, Un aventurier médical au xviie siècle. Nicolas de Blégny. Thèse, Paris, Libr. Louis Arnette, 1932. 68 pp. 8vo.
    Stroup, Alice, A company of scientists: botany, patronage, and community at the Seventeenth-century Parisian Royal Academy of Sciences, University of California Press, 1990.




Innere Medizin


Scharlatanismus (2)

Kupferblech 

Der Liebenswürdigkeit des Kollegen Rainer Tönnes aus Berlin verdanke ich folgende Angaben (Gebrauchsanweisung) zur Anwendung des hier vorgestellten "sanatoire":


"La partie du Sanatoire Voltaïque LEGRANT, destinée à permettre de le placer est composée d'une tige mobile surmontée d'un bouton; cette tige cooulisse parfaitement à l'intérieur même de l'appareil, et chacune de ces extrémités vient s'adapter sur chacune des brides préalablement faites au produit Anestho-dermique de Roye. Rien de plus simple que les applications du Sanatoire Voltaïque. Après avoir eu soin de faire glisser la tige de l'appareil au moyen du bouton, soit d'un côté, soit de l'autre, on introduit l'une des extrémités dans l'une des brides du produit Anesthodermique de Roye; puis on fait coulisser la tige de l'appareil, de manière que l'autre extrémité vienne, à son tour, occuper sa place dans la bride opposée. Dans cette position, le disque de l'appareil Sanatoire occupe le centre du produit externe. Il suffit alors de chauffer très légèrement, à la flamme d'une bougie, le produit Anesthodermique de Roye, et il ne reste plus qu'à faire l'application du produit, accompagné de l'appareil, sur le point indiqué par l'ordonnance du Docteur. Généralement on conserve le Sanatoire Voltaïque pendant une heure ou deux, suivant les prescriptions, et on le retire avec la plus grande facilité, en utilisant la tige à coulisse surmontée d'un bouton, sans retirer le produit Anesthodermique de Roye, qui doit rester sur l'organe malade durant un temps également déterminé" .

Kupfer gehört seit Urzeiten zu den magischen "Zutaten".

"Die wohltuende Wirkung von Kupfer ist seit der Römerzeit überall bekannt. Kupfer, direkt auf der Haut getragen, diffundiert in kleinsten Mengen durch die Haut und gelangt so in die Blutbahn.
Viele Menschen berichten begeistert, dass Kupfer ihnen bei Gelenkproblemen, bei Muskelschmerzen und bei rheumatischen Beschwerden gute Dienste leistet.
In den USA z. B. trifft man die Kupferarmbänder fast auf jedem Golfplatz und auf vielen Tennisplätzen an. Mit dem Schweiss auf der Haut ergibt sich ein Kupferoxyd auf der Hautoberfläche, welches wieder leicht abgewaschen werden kann. Dies ist (angeblich) ein gutes Zeichen, welches bedeutet, dass das Kupfer übertragen wird.

Studie: Prof. John R. J. Sörensen Lehrstuhl Biopharmazie, Uni Arkansas
Literatur: Dr. Helmar Dollmet The Copper Bracelet and Arthritis 1981.

 

"Zur Entspannung von Nerven und Muskeln, wirkt ausgleichend auf die Nervenzentren im Gehirn, schützt die Nervenbahnen, bei Rheuma, wirkt entspannend auf Waden- und Gesichtskrämpfe, stärkt das Immunsystem, schützt vor grippalen Infekten und Fieber, bei Schlaflosigkeit. Gut für die Leber, zur Entgiftung und Erdung. Gegen Krämpfe, Menstruationsbeschwerden, Entzündungen, Rheuma. Kupfer lindert krampfartige Schmerzen während der Menstruation, unterstützt die Monatsblutung und regt die Hormondrüsen an. Kupfer hilft außerdem bei Rheuma und beugt starker Gelenkabnutzung und Gelenkverkalkung vor. Kupfer hat eine kräftige Wirkung auf das Blut und den Blutkreislauf. Es bewahrt das Blut vor Erkrankungen und steuert die Hormone und Vitamine, welche im Blut transportiert werden. Es kräftigt das Immunsystem und wirkt bei Fieber, fiebrigen Infekten und Schüttelfrost sehr hilfreich. Es lindert Schmerzen vor der Regelblutung der Frau und regeneriert während dessen den Stoffwechselhaushalt der Drüsen. Es wirkt sehr stark entkrampfend, besonders auf die Nerven und Muskelfasern. Kupfer bewahrt die Leber, das Rückenmark, Nieren und die Lunge vor Erkrankung, Pilzbefall, Gelbsucht und Katarrhen"
www.ruebe-zahl.de/kupfer.htm

Bei welchen Krankheiten das hier vorgestellte Kupferplättchen "Sanatoire Voltaïque" der Pariser Firma GEORGES helfen sollte, ist nicht überliefert - vielleicht weiss einer unser Leser etwas mehr zu diesem Objekt. Der Begriff "voltaïque" lässt auf "bioelektrische" Manipulationen schliessen ! Bei manchen Trägern von Kupferarmbändern kann sich das Armgelenk durch eine natürliche Reaktion zwischen der Säure der Haut und dem Kupfer etwas grün färben. Die grüne Verfärbung kann leicht mit Wasser und Seife abgewaschen werden. Dennoch ist die Bildung des im Übrigen giftigen (!) Grünspans ein Beleg für eine chemische Reaktion; die am Kupferblech abläuft - warum nicht an eine winzige elektrische Reaktion im Zuge dieser chemischen Interaktion glauben ? Was dieses elektrische Mini-Feld allerdings bei Rheuma, Fieber etc. bewirken soll, das muss mir erst noch einer erklären ...

Aus der Monatsschrift "Clystère" vom März 2018 diese Beschreibung: "A la question posée par Bernard Petitdant sur l’Anesthodermique de Roye (Clystère n° 62) Louis-Jean Dupré apporte les informations suivantes:Il semble que l’anesthodermique soit un produit à base de cuivre, que l’on faisait diffuser en transdermique par l’intermédiaire d’un appareil électro-voltaïque appelé Sanitoire, développé sous l’impulsion de "l’académie transdermique" en 1900. L’intérêt de faire diffuser le cuivre localement est d’obtenir un effet antalgique localisé. La seule source pour l’anesthodermique est le musée Sybodo avec des textes Anglais et Allemands, plus rarement en français:

 https://www.kugener.com/de/humanmedizin/innere-medizin/55-artikel.html?start=108. 

La partie du Sanatoire Voltaïque LEGRANT, destinée à permettre de le placer est composée d'une tige mobile surmontée d'un bouton; cette tige coulisse parfaitement à l'intérieur même de l'appareil, et chacune de ces extrémités vient s'adapter sur chacune des brides préalablement faites au produit Anesthodermique de Roye. Rien de plus simple que les applications du Sanatoire Voltaïque. Après avoir eu soin de faire glisser la tige de l'appareil au moyen du bouton, soit d'un côté, soit de l'autre, on introduit l'une des extrémités dans l'une des brides du produit Anesthodermique de Roye; puis on fait coulisser la tige de l'appareil, de manière que l'autre extrémité vienne, à son tour, occuper sa place dans la bride opposée. Dans cette position, le disque de l'appareil Sanatoire occupe le centre du produit externe. Il suffit alors de chauffer très légèrement, à la flamme d'une bougie, le produit Anesthodermique de Roye, et il ne reste plus qu'à faire l'application du produit, accompagné de l'appareil, sur le point indiqué par l'ordonnance du Docteur. Généralement on conserve le Sanatoire Voltaïque pendant une heure ou deux, suivant les prescription, et on le retire avec la plus grande facilité, en utilisant la tige à coulisse surmontée d'un bouton, sans retirer le produit Anesthodermique de Roye, qui doit rester sur l'organe malade durant un temps également déterminé. Pour le sanatoire, il y eu plusieurs fabricants, sous l’influence de l’Académie Dermothérapique, qui a fait beaucoup de publicité dans le Réveil Moralisien en 1900, mais a aussi exposé à l’exposition universelle".




Innere Medizin


Schwachstrom-Heilapparat ELECTRO-VOX

"made in Luxembourg" 1935 

1935 entwickelte Ingenieur Ferdinand POOS (20 r. du Fort Neyperg) in Luxemburg-Bahnhof ein für die Selbstbehandlung der Patienten konzipiertes Gerät, das unter der Bezeichnung "Medico" angeboten wurde. Im Beiheft schrieb Poos, sein Gerät sei "ein Bakterientöter" - davon war allerdings im Indikationskatalog wenig zu spüren. Vielmehr findet man die ganze Lexe der schlecht definierten degenerativen Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises.

Poos konnte im Begleitheft zu seinem Gerät auf einheimische und ausländische Referenzen hinweisen:
- die Franziskanerinnen der Klinik St. Josef in Luxemburg bescheinigten, mit dem Gerät "äusserst zufrieden zu sein", besondere Heilwirkungen seien bei Ischias, Gallenkrisen und Rheumatismus beobachtet worden.
- der Frauenarzt Armand HUMMER aus der Hauptstadt bescheinigte, das Gerät in der Zithaklinik erprobt zu haben bei Motilitätsstörungen, Muskelatrophie nach Frakturen, Gelenkverrenkungen, Gelenk- versteifungen rheumatischer Natur, Inaktivitätsatrophien, paretischen Zuständen nach Lähmungen, Lumbago, Ischias und Neuralgien, ferner bei Bauchdeckenerschlaffung, zur Anreizung der Darmtätigkeit und bei atonischer uns spastischer Obstipation.
- Prof. Toby COHN aus London, Nervenarzt und Verfasser eines Leitfadens der Elektrotherapie, bescheinigte die Effizienz des Gerätes bei Erkrankungen der peripheren Nerven, Neuralgien und Krämpfen, Lähmungen, Erkrankungen der Muskel, rheumatischen Affektionen, Erkrankungen des Rückenmarks und des Gehirns, Neurosen, Hysterie, Neurasthenie, Blutdrüsen- und Stoffwechselkrankheiten, Morbus Basedowi, Tetanie, Fettleibigkeit, Erkrankungen der Gelenke, der inneren und Sinnesorgane, Magen- und Darmkrankheiten, Herzleiden, hohem Blutdruck, Varizen, Blasen- und Sexual-krankheiten und Frauenkrankheiten. Etwas befremdend wirkt die Indikation "Resorption von Nieren- und Gallensteinen "....
- mehrere Luxemburger werden namentlich zitiert, bei denen das Gerät Erfolge brachte in der Behandlung von Lähmungen, steifen Gliedern, Magenleiden, Rheuma und Schlaflosigkeit, Hämorrhoiden. Martin WARK aus Petingen berichtete, sein 9-jähriger Sohn habe an einer Geburtslähmung im Gesicht gelitten, nach der Behandlung mit "Medico" könne er den Mund wieder "frei hin und her bewegen und lachen", der Schlaf sei tief und fest geworden, das Bettnässen habe aufgehört. Frau B. Muller vom Heiliggeistplatz berichtete über Erfolge bei Beschwerden der Wechseljahre!

Das Gerät wurde auch nach dem 2. WK von den Behörden technisch überprüft, und wurde am 10.4.1946 vom "Service de l'Electrification Générale" (Ingenieur M. Schintgen) zum Verkauf zugelassen. Vortrag in Luxemburg am 16.10.1947 "Elektrische Ströme als Heilmittel" (Luxemburger Wort vom 18.10.1947)

Das gleiche Gerät wurde später (?) in Hayange / Moselle hergestellt (2/2008 bei Ebay angeboten).




Innere Medizin


Senfpapier RIGOLLOT

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In der asiatischen Küche ist Senf seit der Antike bekannt. Über Kleinasien gelangte das Senfkorn nach Griechenland, wo es auch aufgrund seiner Heilkraft geschätzt wurde.

Im 1. Jahrhundert beschreibt der griechische Arzt und Pharmakologe Pedanios DIOSKORIDES die heilende Wirkung des Senfs in seiner Abhandlung „Materia Medica“. Das kalt gepreßten Senföle – auch diejenigen aus anderer Quelle z.B. aus Kapuzinerkresse und Meerrettich - wirken antibiotisch gegen Erkältungskrankheiten und werden heute wieder geschätzt zur Behandlung multiresistenter Keime; Senfpflaster bewähren sich als lokale Heilmittel bei rheumatischen Schmerzen und Neuralgien. Seine „kulinarische“ Tradition beruht nicht nur auf der starken Würzkraft mit entsprechendem Mythos als Aphrodisiakum, sondern auch auf dem günstigen Effekt auf die Verdauungsvorgänge - Senf wirkt „verdauungsfördernd“.

 

Das Senfpflaster war bis ins 19. Jahrhundert ein bekanntes Haus- und Heilmittel: der Brei wurde auf Leinwand gestrichen und auf die Haut aufgelegt bzw. angewickelt – noch in den 1950er Jahren wurden in deutschen Haushalten bei Lungenentzündung Senfwickel auf diese traditionelle Art hergestellt und auf die Brust getan.

 

Wirkungsprinzip

Es handelt sich um eine sogenannte "derivative" Therapie, bei der man hoffte, die kranken "inneren Säfte" der befallenen Lunge zu der durch die Senföle stark durchbluteten (geröteten) Haut ableiten zu können. 

 

Exponat

Kartonschachtel mit 3 Senfblättern.
Klassisch der quer über die Schachtel gelegte Schriftzug „RIGOLLOT" in Rot

Angeregt durch ein 1860 von dem Apotheker BOGGIO entwickeltes „Senfpapier“, das Pariser Pflaster (Taffetas de Boggio), verbesserte der Pariser Apotheker Jean RIGOLLOT (1810-1873) das Pflaster 1866 indem er Papierblätter mit dem Pulver von gemahlenen und ölfreien schwarzen Senfkörnern bestrich und mit einem Caoutschuk-Kleber daran fixierte: auf die Haut gelegt bewirkten die Blätter eine Rötung der Haut und Erwärmung.

 

Eine eher seltene Anwendung 

„Senfpflaster bei der Geburt. Zur Beschleunigung der Geburt, zur Anregung der Wehen benützt man in neuester Zeit — Senfpflaster, das man auf gewisse Hauptpartien auflegt. Die inneren Organe des menschlichen Körpers stehen jedes zu ganz bestimmten, eng umgrenzten Hautbezirken in Beziehung. Bei Erkrankung des Organs schmerzt meist auch die ihm entsprechende äußere Hautstelle. Umgekehrt kann man aber auch von diesem Hautstück auf das innere Organ einwirken. Daher sind durch Reizung der der Gebärmutter entsprechenden „Headschen Zone" durch Nadelstiche oder Senfpflaster die Wehentätigkeit beschleunigt und die Geburt erleichtert“ (Pilsner Tagblatt, 29. Mi 1936).

 

1867 stellte er sein Präparat auf der Weltausstellung vor – der große wirtschaftliche Erfolg fußte auf der zu dieser Zeit regen Angst vor Lungentuberkulose – da war jedes Mittel recht. 1872 leitete er eine ganze Fabrik, die nichts tat als „Senfblätter“ herzustellen.

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